maandag 16 december 2024

Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH Aus seinem Kommentar zur Haftoro des Wochenabschnittes Wajéschew


Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH

              (1833 – 1900)

 

הפטרה פרשת וישב

Aus seinem Kommentar zur Haftoro des Wochenabschnittes Wajéschew

 

Unsere Prophetenstelle schließt sich unmittelbar an die beiden vorhergehenden Versen gegebene Bezeichnung der Verirrungen und Zustände im Reiche Juda. Es wird die große Wahrheit in furchtbarer Eindringlichkeit gelehrt, daß eine Zerfällung des Gesetzes des allmächtigen Gottes in Pflichten gegen Gott und Pflichten gegen den Nebenmenschen auf dem Boden der jüdischen Wahrheit keine Stelle habe. Wer glaubt eine Auswahl treffen, und entweder dem fälschlich sogenannten spezifisch religiösen oder dem mehr sozialen Gebiete des Gesetzes mit Hinteransetzung des anderen erhöhte Bedeutung beimessen zu dürfen, der verlässt damit nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch den Boden des Gesetzes. Und zwar verlässt er ihn vollständig. Er gibt nicht nur den Teil preis, den er, sei es in vermeintlich „prinzipielle Überzeugung“ oder sans phrase in praktischer Betätigung verleugnet, sondern auch denjenigen Teil, dem er noch die Treue zu bewahren vermeint.

In Juda glaubte man, mehr die מצות שבין אדם למקום betonen und es dafür mit der strikten Erfüllung derמצות שבין אדם לחברו  nicht so nehmen zu dürfen. Der Tempel ragte, des Opferdienstes wurde gepflegt, die Tempelhallen waren gefüllt, Sabbat und Festtage wurden gefeiert und die Speise- und Reinheitsgesetze fanden sorgsame Beachtung. So schien es. In dem aufgeklärten, mit den Wahnvorstellungen der verschiedenen umwohnenden heidnischen Völker durchtränkten Jissroél war es umgekehrt. Dort hatte man in mehr oder minder bewusster Grundsätzlichkeit das spezifisch Jüdische abgestreift, den חקים, den Speise- und Reinheitsgesetzen in den herrschenden Kreisen hohnlachend den Rücken gekehrt, und nur die משפטים, die das bürgerliche Leben, das Verhalten des Menschen zum Nebenmenschen regelnden Gesetze im Prinzip aufrechtgehalten. Über beide Reiche, Juda wie Jissroél, verkündet das Prophetenwort in Namen Gottes den durch ihre Taten heraufbeschworenen Untergang. Und da ist’s nun so ungemein charakteristisch und für alle Zeiten lehrreich: Juda dem vermeintlich frommen, wird trotz seiner Opfer, seiner Gebete und seiner Sabbatfeier, der furchtbare Vorwurf entgegengeschleudert, daß „sie die Thora Gottes verachtet“ und seine חקים, gerade die Speise- und Reinheitsgesetze, nicht gehütet hätten!– Und Jissroél? Kein Wort des Vorwurfs wegen des verschmähten Tempels, wegen der entweihten Sabbat- und Festtage, wegen der nicht beachteten Speisegesetze. Wohl aber wird ihm ein Spiegel vorgehalten, aus dem ihm ein Nachtbild unsäglicher Verkommenheit, einer vollständigen Fäulnis aller rein menschlichen Verhältnisse in Staat und Familie entgegenstarrt. Erstorben alles Rechtsgefühl, erstorben alle Menschlichkeit, bis zur vollendeten Tierheit erstorben alle Scham (V.7). Der Habsucht der Grossen bietet eine feile Beamtenschaft bereitwillig die Hand mit Missbrauch der Formen des Rechtes zur Ausübung schnödester Gewalt gegen die wirtschaftlich Schwachen, und – zu all diesem Jammer spendet eine gesinnungs- und herzlose Geistlichkeit, die würdigen Diener einer Religion ihrer Mache, bereitwillig ihren Segen. Zerstörung des Staates, Entziehung all der Güter, deren Missbrauch zu dieser Entartung führte, war die einzige Rettung der „Jissroél-Familie“ (Kap. 3, 1) Während das Sidra-Wort uns die seinen Fäden der höheren Waltung zeigte, die den Zug der Jakobsfamilie ins ägyptischen Galuth vorbereiteten, auf daß sie dort in Leid zum Gottesvolke erstarke: eröffnet das Prophetenwort einen Einblick in die Verhältnisse, die die Wiederkehr der entarteten Jissroéls-familie zum Jakobsgeschick, ihre Hinausweisung ins Exil auf die lange bange Galuthwanderung durch die Jahrhunderte zur unausbleiblichen Folge haben, für deren Abwendung es nur die eine Möglichkeit gab, daß der Posaunenruf des drohenden Gottesgerichtes, der aus dem ernsten Mahnworte des Propheten ihnen entgegentönt; doch noch die Sperre ihres Herzens sprenge, sie ihrem besseren Selbst zurückgebe, und sie so zu aufrichtiger und dauernder Aufkehr zu Gott sich ermanne

 Kap.3, 6 Wenn aber der Schofar in der Stadt erschallt, da hätte das Volk nicht zu erbeben? Wenn Unglück sich ereignet in der Stadt, da hätte es Gott nicht bereitet?

7. Denn mein Herr, der seine Liebe als Rechtswaltung offenbarende Gott tut nichts, er habe denn seinen Ratschluss offenbart seinen Dienern, den Propheten.

 8. Der Löwe hat gebrüllt – wer hätte nicht zu fürchten! Mein Herr, der seine Liebe als Rechtswaltung offenbarende Gott hat gesprochen – wer würde da nicht Prophet! –

 V.6 Wenn aber der warnende, mahnende Schauforruf Gottes in der Stadt ertönt, der Ruf des allmächtigen Gottes, der euer Geschick in Händen hat und der für euch als Folge der Schuld das Unglück festgesetzt hat, da könntet, dürftet ihr weiter ruhig in den Tag hinein leben, hättet nicht aus diesem Posaunenrufe das löwengewaltig euch drohende Geschick bebend zu erkennen und euch zur Verbesserung aufraffen? Und wenn des Schaufors Stimme unbeachtet verhallte und nun das Verhängnis über die Stadt hereingebrochen ist, mag dies nun in seiner äußeren Verwirklichung durch Feindesmacht, durch innere Zerrüttung oder durch Naturgewalten sich vollziehen: da bestände kein innerer Zusammenhang zwischen ihm und dem unbeachtet gebliebenen Gottesruf? Da wäre es ein bloßer Zufall, Raubgier der Feinde, oder physische Verhältnisse, und es wäre nicht Gott, der diese Verhältnisse gerade so gelenkt hätte, wie es der Vollstreckung seines Willens entsprach?

V.7 Denn das Prophetenwort ist der Schauforruf Gottes.

V.8 Nun, der ernste, mahnende und warnende Ruf des allmächtigen Gottes ist an euch gedrungen, wer hätte da nicht zu fürchten? Gott, und zwar אדני, der den Propheten sendet, und der vierbuchstabige Gottesname, der מדת הרחמים mit der Vokalisierung אלהים, מדת הדין vereinigt, der also den barmherzigen, stets zur Spende neuen Seins und neuer Kraft bereiten Gott als denjenigen bezeichnet, der diese seine Liebe im gegenwärtigen Augenblicke als waltende Gerechtigkeit offenbaren müsse – also ד' א' hat gesprochen – wer wäre jetzt nicht Prophet! Wer könnte jetzt nicht mit Bestimmtheit das Hereinbrechen unheilvoller Verhängnisse verkünden, wenn sein Wort unbeachtet bleibt!

 (Die Haftoroth übersetzt und erläutert, Frankfurt am Main 1896: S. 76-85  Kommentar zu Amos Kap 2, V6 bis  Kap 3, V.8) 

 

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