vrijdag 27 oktober 2023

Samson Raphael HIRSCH aus seinem Kommentar zur Wochenabschnitt Lech Lecho

 


Samson Raphael Hirsch

Lech Lecho (Auszug)

 

Kap. 12, 1 …לך לך: „Gehe für dich, isoliere dich!“. So bei Jithro וילך לו, er leiste auf die Vorteile Verzicht, die ihm die Verbindung mit Jissroél gebracht hätte. … Also hier: Gehe für dich, deinen eigenen, von deinem Lande, u.s.w., von allen deinen bisherigen Verbindungen dich isolierenden Weg. Die erste Auswanderung aus Ur Kasdim war vielleicht ein Fortgehen um einer Rettung willen. Diese Anforderung setzt die Entfernung zum Selbstzweck. … Wir haben an diesen jüdischen Sprachgedanken erinnert, um uns zu vergegenwärtigen, wie tieF und innig schon unsere Sprache den Wert des Vaterlandes und der Heimat fühlt und würdigt, und es gewiß nicht Geringschätzung dieser Momente ist, wenn hier die Pflanzung des ersten jüdischen  Keimes die Lossagung von Vaterland, Geburtsort und Vaterhaus, die Lossagung von Nationalität und Heimat fordert. Vielmehr liegt gerade in der Würdigung dieser Momente die Größe der hier geforderten Isolierung. Diese Anforderung selbst setzte Abraham in den entschiedensten Gegensatz zu der herrschenden Richtung seiner Zeit. Nicht Individualisierung, nicht Anerkennung des Wertes und der Bedeutung des einzelnen, vielmehr Centralisierung, die den Menschen seinen persönlichen Wert verlieren läßt und ihn zum Handlanger, zum Ziegelstein für den Ruhmesbau einer angeblichen Repräsentanz der Gesamtheit erniedrigt, das war, wie wir gesehen, die Richtung der Zeit, die unter der Parole ihres נעשה לנו שם den Turmbau des Menschenruhmes begann. Diese Richtung erzeugt den Wahn einer überall und für alles geltenden Majorität, macht, daß zuletzt alles, was in dem Vaterlande der Majorität als Höchstes gilt, auch damit schon ohne weiteres von jeden als Höchstes angesehen und verehrt wird. Es sollte allerdings eine jede Gesamtheit die Vertreterin des wahrhaft Höchsten und Heiligen sein, und in dieser Voraussetzung würdigt auch das Judentum den Anschluß an die Gesamtheit in seiner vollen Bedeutung. Jedoch an der Spitze des Judentums steht: לך לך „ das für sich gehen“ als das noch Höhere. Niemand darf sagen: ich bin so gut, so gerecht, als es eben Mode ist. Jeder ist Gott für sich selbst verantwortlich. Wenn nötig: „mit Gott – allein!“ wenn es sein muß, wenn das in einer Majorität vergötterte Prinzip nicht das wahrhaft göttliche ist – dies Bewußtsein ward von Abraham als der Ausgangspunkt für seine und seines einstigen Volkes Bestimmung gefordert. Wohl lehrt, wie wir gesehen, schon unsere Sprache in den Worten ארץ und בית, wie die starken Banden der Mensch an beide geknüpft ist: jedoch stärker als das Band, das uns mit Vaterland und Familie verbindet, soll das Band sein, das uns mit Gott verknüpft.

Wie hätten wir existieren können und könnten wir existieren, hätten wir nicht von vorn herein von Abraham den Mut einer Minorität erhalten!      

„Zeitgemäßes Judentum!“ Der lauteste Protest dagegen ist das erste jüdische Wort: לך לך! War Abrahams erstes Auftreten zeitgemäß? In Mitten von Chaldäa, Babylon, Assyrien, Phönizien, Ägypten! Vergötterung der Sinnlichkeit und der Macht war da die zeitgemäße Predigt, vergöttertes Genussleben in Asien, Vergötterung der Menschenmacht und Ertötung des freien Menschen in Ägypten; der Gedanke „Gott“ war bis auf wenige Spuren verschwunden,– da soll ein Abraham auftreten, und während die ganze Welt sich fest anzusiedeln, sich anzubürgern trachtet, soll er seine Heimat, sein Bürgerrecht aufgeben, sich freiwillig zum Fremdling machen, den von allen Nationalitäten vergötterten Göttern den Protest ins Angesicht sprechen; das erfordert den Mut und die Überzeugung von der Wahrhaftigkeit der inneren Gesinnung und des Gottesbewusstseins, das fordert das jüdische Bewusstsein, den jüdischen „Trotz“ – und das war das erste, worin Abraham seine Berufung zu bewähren hatte.

So begreifen wir auch wohl, wie unsere נביאים, jene von Gott bestellten Zeitenwächter. צופים, die ihrem Volke die Merkzeichen alles erlebten und noch zu erhoffenden קצים, Zeitenenden, Erlösungsanfangen, unverlierbar in die Endbuchstaben seines Alphabets hineingeschrieben haben, und die ganze jüdische Weltgeschichte in den doppelt –ך , doppelt –מ , doppelt –נ , doppelt –פ   und doppeltdes לך לך des Abraham,  עצמת ממנוdes Jizchak,  הצילני נאdes Jakob,  פקוד יפקודder  גאולת מצרים, צמח שמו ותחתיו der einstigen גאולה zusammenfassten, wie sie in dem לך לך des Abraham den ersten Ausgangspunkt der גאולה erblicken konnten. Mit dem Isolierungsrufe, welchem Abraham gehorchte, war die jüdische Welterlösung entschieden.

 

V.2 ואעשך לגוי גדול   Eine zahlreiche Nachkommenschaft macht aber noch kein Volk. Damit eine Masse ein גוי, eine Volkseinheit bilde, dazu bedarf sie eines gemeinsamen Bandes. Überall sonst ist dies das gemeinsame Land, das Zusammenwohnen unter denselben Einflüssen, das Getragenwerden von dem gemeinsamen Boden der Existenz. Abrahams Nachkommen aber sollen auch ein Volk, nicht aber durch gemeinsamen Boden, sondern wiederum nur durch Gott werden. Abrahams Geist soll sich in seinem Nachkommen wiederholen und: was anderen Völkern ihr Boden ist, das sollst du in deinen Nachkommen sein. Mit der Abstammung von dir sollen sie auch das volksbildende Einigungselement erben. Dadurch, daß wir noch jetzt אלקי אברהם, Gott, wie in Abraham erkannt, wie er sich ihm offenbart und in der Leitung seines Geschickes gezeigt hat, אלקינו, unserem Gott nennen – und wir bedürfen diese Bezeichnung nicht zur partikularistischen Absonderung, sondern gerade zur reinhaltenden Unterscheidung des abrahamitischen Gottesbegriffes קונה שמים וארץ, von jeder partikularistischen Trübung – dadurch, durch dieses von Abraham überkommene gemeinsame geistige Erbe sind wir noch heute ein Volk, nachdem wir schon längst das Band des gemeinsamen Bodens verloren. Und darin daß nicht nur Abraham, sondern auch sein Sohn und Enkel solche Persönlichkeiten wurden, in welchen sich Gottes Waltung also manifestierte, daß auch sie mustergültig für die ganze jüdische Nation blieben, und wir nicht nur אלקי אברהם, sondern auch אלקי יצחק und אלקי יעקב sprechen: darin erkennen die Weisen zunächst die dem Abraham gewordene Segnung und Größe. Und gerade in אלקי יעקב verwirklicht sich das ואגדלה שמך, Jakobs, in dessen Geschick es sich vor allem mustergültig zeigte, daß die jüdische Bestimmung unabhängig von äußerer Größe und äußerem Glanze sei. Je weniger ein Mensch hat, um so größer erscheint seine Persönlichkeit. Die Größe, der Segen, den ein Unbemittelter verbreitet, kann nur in seine Persönlichkeit wurzeln. Wenn ein יעקב groß ist, wenn eine Nation glänzt, die seit Jahrhunderten nicht in Kriegsruhm u.s.w. exzelliert, so kann dies eben nur in ihrer geistig sittlichen Persönlichkeit liegen, eben יעקב ist מגדל שמך. –

Bei näherer Betrachtung dürfte mit diesen ersten drei Sätzen Abraham die ganze Summe der jüdischen Geschichte in nuce in die Hand gegeben sein. In 1:לך לך מארצך וגו' erscheint Abraham bloß als Individuum, „wage es, allein zu sein!“ In 2:ואעשך לגוי וגו' , tritt schon das Volk hervor, aber noch außer Berührung mit anderen Völkern, der Segen Abraham ist schon bedingt durch den Segen anderer, ja es können schon andere wagen, ihm zu fluchen. Abrahams Aufgabe war, sich zu isolieren, Wandel allein mit Gott. Zweites Stadium: die Schöpfung eines Volkes aus diesem Abraham. Wenn es hervortreten soll, daß dieses Volkes Dasein eine zweite Schöpfung Gottes in der Geschichte sei, so kann dieses Volk nur auf dem Wege der Heimatlosigkeit, des גלות und גרות zu einem Volk werden. Sesshaft wäre es kein אצבע אלקי', kein מעשה השם gewesen. ואעשך לגוי גדול: von יצחק bis יציאת מצרים  ,ואברכך.dann werde ich dich einpflanzen in ein ארצ זבת חלב ודבש;ואגדלה שמך  nicht אגדל שמך. Gott kann Menschen und Völker segnen, aber daß sie zu einer solchen sittlichen Größe gelangen, um ein mustergültiger Mensch, ein mustergültiges Volk genannt zu werden, das kann Gott nur wünschen das ist durch die Treue bedingt, die dem göttlichen Gesetze gezollt wird. Ebenso heißt es nicht: והיית ברכה, oder:ותהיה ברכה  sondern והיה ברכה, „werde ein Segen“, in diesen zwei Worten die ganze sittliche Aufgabe zusammenfassend, deren Lösung eben die Erfüllung jenes Wunsches bedingt: „ich möchte deinen Namen groß werden lassen, werde du ein Segen!“ Ich möchte dich zu einem Volke machen, auf welches die Völker nur hinzublicken hätten um sich ihrer Aufgabe bewusst zu werden, und diese Aufgabe  die Du im Gegensatz zu allen sonstigen Völkerbestrebungen zu lösen haben sollst, heißt: Segen werden!

Allen anderen streben danach, nicht להיות ברכה, sondern להיות ברוכים, Segen zu gewinnen, gesegnet zu werden, und vor allem Völker. Die Redlichkeit, Menschlichkeit und Liebe, die man von dem einzelnen noch fordert, wird im Verhältnis von Volk zu Volk zur Torheit, gilt der Diplomatie und Politik für nichts. Trug und Mord, die den einzelnen zum Kerker und Henker führen, werden „zum Besten der Staaten“ im großen geübt, mit Orden und Lorbeer bekränzt. Die abrahamitische Nation hat von allen diesen Nationalinstitutionen nichts, sie weiß nichts von einer Nationalpolitik und einer Nationalökonomie. Derjenige, der der Träger ihrer Nationalwohlfahrt sein wollte, braucht keine Subsidien zu geben und auf keine Koalition und Bündnisse zu rechnen. Zu seinem Gebote stehen der Regen und der Sonnenschein, die Kraft und das Leben, die Macht und der Sieg. – אם בחקתי תלכו, dann macht sich alles andere von selbst. In Mitte der Menschheit, die נעשה לנו שם ihrem ganzen Streben als Devise aufprägt und die Selbstvergötterung und den rücksichtslosen Ausbau der eigenen Wohlfahrt als maßgebendes Ziel anstrebt, soll Abrahams Volk in Einzeln- und Gesamtleben nur dem einen Ruf folgen: היה ברכה, Segen zu werden sich mit aller Hingebung den Gotteszwecken des Welten- und Menschenheils zu weihen, darin mustergültig die Wiedererstehung des reinen Menschentums, des אדם in seiner ursprünglichen Bestimmung, zur Anschauung bringen, dann werde Gott seinen Segen zu frischer Lebenstätigkeit geben und zur Weckung und Erziehung der Völker zu gleichem Streben den Namen des Abrahamvolkes weithin leuchten lassen: ואברכך ואגדלה שמך. Dieses zweiten Stadium sollte in ארצ ישראל zur Verwirklichung kommen, dort sollte Israel in seiner unnahbaren Isolierung von den Völkern, nicht nur das Gesegnete, sondern in erster Linie das Segen verbreitende, ein Segensquell geworden sein – וישכן ישראל בטח בדד עין יעקב – dann hätte alles, was jetzt uns erst באחרית הימים winkt, sich bereits seit Jahrtausenden erfüllt, und der ganzen Entwicklungsgang der Menschengeschichte wäre seitdem ein anderer gewesen. –

Allein diese erste Verheißung an Abraham scheint auf ein drittes Stadium hinzuweisen – schon, wie bereits bemerkt, stellt das optative ואגדלה die Verwirklichung jenes zweiten Stadium nur als bedingten Wunsch hin – der dritte Satz scheint ein Zustand anzudeuten, in welchem das Abrahamsvolk mit seinem Segen und Fluch von Menschen abhängig erscheint, wo Menschen es segnen, Menschen ihm fluchen können; es wäre dies somit das Stadium des גלות, dem dieses Volk entgegengeht, wenn er seine Aufgabe vergisst und statt להיות ברכה, den Völkern gleich sich dem Streben hingibt להיות ברוכים; und hier, für dieses Galuth, wo es hinausgestreut unter die Völker, abhängig von ihrem Segen und Fluch preisgegeben erscheint, hat Gott daß große Wort gesprochen: ואברכה מברכיך, die dich segnen, die dich fördern, die dein Prinzip würdigen und anerkennen und sich deiner Sinnlichkeit und Gottesverehrung fördernd zu unterordnen, sie werde ich segnen – und auch hier wieder tritt diese Verheißung optativ auf, Jissroél möge sich in der Zerstreuung also bewähren, daß seine Förderung des Völkerheils bedeutete.

Rabbiner Dr. Mendel Hirsch: aus seinem Kommentar zur Haftoro Lech Lecho

 


Rabbiner Mendel HIRSCH
szl

          (1833-1900)

 

לך לך

 

Von Abrahams Wirken bis zur heißersehnten Erlösung:

weltgeschichtlicher Sieg eines Prinzips

 

Aus seinem Kommentar zur Wochenabschnitt Lech Lecho:  Jesaja Kap.40,27-31 u. 41,1-16 (Auszug)

Die Parallele zwischen Jissroéls Geschick und Aufgabe und dem Siegeszuge seines großen  Ahnen Abraham hat dieses Prophetenwort in die Sidra bestimmen lassen. Die Isoliertheit inmitten einer ihn nicht begreifenden Welt; das lange Ausharren bis auch nur der allererste Anfang der Erfüllung der empfangenen Verheißung eintrat; das felsenfeste Vertrauen; der glorreiche Sieg über die siegestrunkenen Völkerkönige; der noch glorreichere, der in der Selbstvollendung und in der Gewinnung seines Kindes für die selbe Höhe von Moria‘s Gipfel durch die Jahrhunderte strahlt – sie sind das Vorbild der Bestimmung und des Geschickes seiner Kinder und des einstigen Sieges des von ihnen durch die Zeiten und die Völker getragenen Principes. Dieses Prinzip heißt: היה ברכה, das Streben, nicht gesegnet, sondern: selbst für Andere zum Segen zu werden, jene edle Humanität, die ohne jegliche nationale oder confessionelle Beschränkung kein höheres Glück kennt als, andere glücklich zu machen, wie dies aus dem Liebenswirken Abrahams so herrlich uns entgegenleuchtet. Diese echte, in abrahamitischem Sinne in Wahrheit „um Gottes Willen“ geübte selbstlose Liebe ist es, die zur Gerechtigkeit hinzukommen muss, um das wahre Menschenheil aufblühen zu lassen. Der Kampf und der endliche Sieg dieses Principes bildet den Inhalt der ganzen Weltgeschichte.

Kap.40, 27 Warum sagst du, Jakob, und behauptest, Jissroél: Gott ist mein Weg verborgen, und meinem Gotte entschwindet mein Recht! 

Jakob: nach der Geschickesstellung, Jissroél: nach der Bestimmung. In beiden Beziehungen, so zeichnet es das Prophetenwort, erblickt Jissroél die Wirklichkeit im Gegensatz zu seinen, wie es glaubt, berechtigten Erwartungen. דרכי:דרך  bedeutet im bildlichen Sinne in der Regel die individuelle sittliche Entwicklung des Menschen. Sowohl im Hinblick auf seinen Lebensweg, als auch auf die Siegesverheißung, die dem von ihm getragenen Lebensprincipe von Gott geworden, glaubt Jissroél sich in der Klage berechtigt, daß Gott sich von ihm abgewandt habe. Da in der Antwort V.28 nicht auf die Unwürdigkeit, sondern nur auf die Kurzsichtigkeit des also Klagenden hingewiesen wird, so ist es ein ernstes, auf dem Boden des Gottesgesetzes sich haltenden Geschlecht, dessen Mutlosigkeit hier entgegengetreten wird. Du glaubst, Gott sehe deine Lebensführung nicht, weil du trotz deiner Gesetzeserfüllung noch immer in der Jakobsstellung verharren, jedes nicht ganz verkümmerte Recht als Gnade hinnehmen musst, und du verzagst an dem endlichen Siege der Lehre von reinem Menschentum, von der Majestät des Rechtes und der Liebe, weil du überall nur den Triumph der Gewalt und die Anbetung des Erfolges erblickt? – תאמר: die ausführlichere, erklärende und begründete Darlegung, תדבר: der kurz bestimmte Ausspruch. Dein Geschick drängt dich von selbst zu eingehender Aussprache:תאמר. Dafür, daß das Morgenrot der allgemeinen Herrschaft des Rechtes und der Liebe noch nicht angebrochen, dazu bedarf es nur des kurzen Hinweises:תדבר.

 V.28 Hast Du es denn nicht erkannt, wenn du es nicht vernommen: Gott der Ewigkeit ist Gott, er schafft die Ende der Erde, er ermüdet nicht und er ermattet nicht, keine Ergründung giebt es seiner Einsicht.

 Aus deinem eigenen Dasein, aus der Tatsache deiner Erhaltung, sowie aus den Erfahrungen der Vergangenheit solltest du dir selbst die Antwort geben können. Gottes Plan, der Menschheits-Erziehungsplan, umfasst Jahrtausende, dein Auge aber erblickt nur eine kurze Spanne Zeit, und in dieser Zeit nur einen kleinen Raum und in diesem zeitlich und räumlich umschränkten winzig  kleinen Gebiete nur das Äußerliche, die Oberfläche, der zeitlichen Gestaltungen: Gott aber „schafft“ in jedem Augenblicke die „Enden der Erde“ – er überschaut in jedem Augenblick Alles und hat Alles in seiner Hand. Deshalb ist es so töricht, so vermessen, sich eine Einsicht in seinen Plan zuzutrauen oder zu wähnen, nach dem Ergebnis der eigenen, so menschlich beschränkten Erfahrung den jeweiligen Stand des Zeigers der Weltenuhr bestimmen zu können – אין חקר לתבונתו.

 29. Er gibt dem Ermüdeten Kraft, und dem der Kräfte baren will er Fülle und Stärke verleihen.

30. Mögen Knaben ermatten und ermüden, und Jünglinge anhaltend straucheln:

31. die auf Gott hoffen, erneuen stets die Kraft, Adlern gleich gewinnen sie Schwingen, sie eilen und ermüden nicht, sie schreiten dahin und werden nicht matt.

 V.29 – 31. Gottes Kraft erlahmet nie, von ihr spendet Er in jedem Augenblicke dem Ermatteten, daß ist deine eigene Erhaltung sprechendster Zeuge. Alles gegen Seinen Plan Ankämpfenden erweist sich, trotz allen zeitweiligen Scheines besonnen Ernstes und dauernder Stärke, in Wahrheit als knabenhaftes Unterfangen und verflackerndes Strohfeuer jugendlicher Thorheit; während קו, wörtlich: die rückhaltlos zu Gott Hinströmenden (vergl. יקיו המים אל מקום אחר) stets neue Kraft gewinnen, das „Unmögliche“ vollbringen, in ihrem scheinbar langsamen Dahinschreiten die einzigen „Eilenden“, rasch dem Ziele sich Nähernden sind und Ermattung nimmer kennen. Der Lohn der Pflichttat, lehren die Weisen, ist die Kraft und das frohe Aufstreben zur neuen Pflichttat.

 Kap.41, V.1 Höret schweigend mir zu, ihr meerfernen Lande, und die Staaten mögen ihre Kraft erneuen, mögen sie hintreten, dann mögen sie reden, lasst uns zusammen hintreten zum Gerichte!

 Kap. 41, V.1 ההרישו אלי אים: nicht an den kleinen Kreis einer von vornhinein gewonnenen gläubigen Gemeinde wendet sich das Gotteswort, sondern an seine Gegner inmitten der Gesamtmenschheit. Das Gotteswort geht der Kritik nicht aus dem Wege, es fordert sie heraus, en hat sie nicht zu fürchten, יחדו למשפט נקרבה, mit der überzeugenden, jeden Widerspruch lähmenden Kraft welthistorischer Tatsachen tritt es den Völkern entgegen.

 V.2 Wer hat erweckt aus dem Osten den, der mit jedem Schritte Ihn verkünden sollte durch Lebensgerechtigkeit? Er gab Völker vor ihn dahin und über Könige ließ Er ihn herrschen, jedoch sein Schwert ließ Er wie Staub sein, verwehtem Strohhalme gleich seinen Bogen!

 V.2 מי העיר ממזרח וגו': Abrahams Eintritt in die Geschichte wird so farbenprächtig wie charakteristisch als ein Sonnenaufgang am Nachthimmel der Menschheit bezeichnet. Während die verblendete Menschheit sich an den Ruhmeswagen eines Nimrod spannen ließ mit der Losung: העשה לנו שם, wir wollen uns einen Namen machen! ging Abrahams Leben in den Streben auf: יקראהו לרגלו, bei seinem Eintritt oder mit jedem Schritte seines Lebens verkündete er den dem Bewusstsein der Menschen entschwundenen Gott, nicht durch das Bekehrungswort des Missionärs, sondern durch das צדק seines tatenreichen und tatenfrohen Pflichtlebens. צדק ist ja jene Gestaltung des Tatenlebens, die jedem Wesen volle Befriedigung seiner Ansprüche zu gewähren weiß. Und weil er inmitten der Menschheit der Einzige war, der nicht sprach: נעשה לנו שם, der Einzige; der selbstlos, nicht gesegnet, sondern selbst ein Segen werden wollte, der der Machtvergötterung und Erfolganbetung die Huldigung des Rechtes und der Liebe entgegensetzte, der Einzige, der „dem Wege der anderen nicht betrat“: so gab Er, der inmitten der kriegerischen, jederzeit kampfgerüsteten Völker, „seinen Bogen wie verwehten Strohhalm und sein Schwert machtlos wie aus Staub sein ließ“ gleichwohl „Völker unter seine Machthoheit und ließ über Könige ihn herrschen“, und er zog als Sieger dahin durch die Völker und nahm ihre Huldigungen entgegen, deren „Weg er mit seinen Füssen nimmer betrat“. Das Prinzip aber das so mit dem Ahnen siegreich eintrat in die Geschichte, es wird von seinen Kindern durchgetragen und wird den einstigen dauernden Sieg erringen und der Menschheit, nach Überwindung, ja Zertrümmerung alles feindlich starr Widerstrebenden, die heißersehnte Erlösung in Wirklichkeit bringen.

 V.4 Wer hat es gethan und vollbracht, die Geschlechter berufend von Anfang an? Ich, Gott, bin der Erste und mit den Spätesten bin ich derselbe!

 V.4 Die ganze Weltgeschichte ist der Weg der Verwirklichung meines Plans. Ich bin und bleibe derselbe; Ich bin es, der Geschlecht nach Geschlecht beruft, auch die vom Wahne ihrer Selbstherrlichkeit Trunkenen werden in ihren Geschicken von mir geleitet, und stehen mit dem, was sie erstreben und vollbringen, und mit dem, was sie erleiden, im Dienste meiner Waltung.

 V.15 Siehe, ich habe dich zu einer scharfen neuen vielschneidigen Dreschwalze bestimmt, Berge wirst du wie Spreu dahingeben.

V.16 Du streust sie dahin, der Wind trägt sie fort und der Sturm lässt sie zerstieben – du aber jauchzest auf durch Gott, in dem Heiligen Jissroéls findest du deinen Ruhm!

 An dem Prinzipe des Rechtes und der Nächstenliebe und an der Lehre vom reinen Menschentume, deren Träger das inmitten der stolzen Staatengrößen „wurmgleich“ am Boden liegende und wie der Wurm den Fußtritten achtloser  wie hasserfüllter Gewalt wehrlos preisgegebene Jakobsvolk ist, werden „die Berge und die Hügel“, die auf das Gegenteil gegründeten großen und kleinen weltgeschichtlichen Staatengebilde zerschellen. Das Trümmerfeld der Geschichte, die Reihe der internationalen Kriege und die Aufeinanderfolge der inneren Umwälzungen bilden der tiefernsten Kommentar zu diesem Prophetenworte, wie die Tatsache der Erhaltung Jissroél die Gewähr bietet für die Erfüllung der Verheißung, die das Jissroél der Zukunft schaut, wie es in der Verwirklichung des durch das Gottesgesetz gezeichneten sittlichen Menschenideals seines einzigen und höchsten weltgeschichtlichen Ruhmes teilhaftig und froh wird.

(Die Haftoroth übersetzt und erläutert, Frankfurt am Main 1896: S. 20-26  Kommentar zu Jesaja 41, Kap 40 u. 41) 

donderdag 26 oktober 2023

Raw Shimon SCHWARZ über LIBERALE UND ZIONISTISCHE ASSIMILATION (1934)

 


Raw Simon SCHWAB
     (1908-1993)

 
„Die große Abrechnung“

3.

Da kam das Unerwartete. Gott schickte das große Juden-Hassen über Seine Welt. Die vor etwa hundert Jahren gewährte Emanzipation – die seelisch nie ganz durchgeführt werden konnte – ist heute ein großer Scherbenhaufen. Ein Unwetter hat uns erbarmungslos aus liebgewordenen Träumen wachgedonnert. Man weist uns aus dem politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebensraum des deutschen Volkes heraus. Der „totale Staat“ hat für den jüdischen Stamm und Rasse kein Betätigungsfeld mehr.

Und die Assimilation?

Die seit über einem vollen Jahrhundert bis zur Überspanntheit betriebene Assimilation, ist sie wirklich restlos – sinnlos geworden?

Es kam über uns die Hand Gottes. Es kam, ja es kam, die große Abrechnung Gottes. Die Assimilation wurde uns allen tausendfach um die Ohren geschlagen. Der tausendfältige Verführer wandte sich urplötzlich zum Ankläger…

Mit Herzblut schreiben wir es nieder. Scham über uns, brennende Scham, daß wir dies alles selbst verschuldet und nun doch nicht begreifen. (Daß wir auf alle dieses unerhörte Geschehen bisher noch nicht entsprechend reagierten). – Unsere Minderwertigkeit, die sogenannte erbbiologische, rassenmäßige Minderwertigkeit wird in allen Gassen ausgeschrieen,– und unsere verfallenen unbrauchbaren Mikvaoth zeugen wieder uns, unsere reformatorischen Geistlichen, die Get und Chalizoh verwerfen, zeugen wieder uns. Und die vielen Leichtsinnigen und Eitlen, die in thoraloser Ehe oder Mischehe leben.

Welche jüdische Frau hat wohl seit dem Zusammenbruch der Assimilation, unter dem Zeichen von Gottes großer Abrechnung, begonnen, thoragemäß Körper und Haar zu verhüllen? Welche?

Schande über dich, deutsche Judenheit!

Der geschändete Sabbat hat aber gegen dich Zeugnis abgelegt. Da deine Wirtschaftsexistenz auf Sabbatverrat begründet war. Gottes Vergeltung kam, deine Erwerbsmöglichkeiten sind dir eingeschränkt, der geschäftliche Boykott an einem Sabbattage über dich verhängt. 

Soll Gott noch deutlicher sprechen?

Seit fünfzehn Jahrhunderten wird an diesem Sabbat gerade – in Jissroél – Jesaias Warnruf verkündet:

Ich gebe Jaakob dem Banne preis,

Den Schmähungen, Jisrael!

Soll Gott noch deutlicher sprechen??

Und doch – man möchte aufschreien: wie viele Betriebe haben seit diesem Boykott-Tage am Sabbat Türen und Läden verschlossen? Ist es ein Wunder, daß man uns den spärlichen Verdienst oft neidet, da er doch in solcher Unheiligkeit erworben ward?

 Schande dir, du deutscher Jude, da du die schreckhaften Zeichen dieser Zeit nicht verstehst, noch deutest. Wie oft hast du in deinem Haushalt oder nur auf der Reise, Unheiliges und Verbotenes über deine Lippen gebracht. Gott hat dich geschlagen mit gleichem Maß. Die Schechitah ist dir genommen. Doch wo hattest du eiliger zu tun, als nun den Haushalt ganz offiziell trepha gleichzuschalten, die ja auch deine liberalen Berater dir leichtsinnige Zustimmung gaben.  

Wie wenige ahnen es doch, daß ein Morgen geschichtlicher Vergeltung herangebrochen ist, an dem Gott uns heimzahlt unsere und unserer Väter Schuld.

Von der uns zur Last gelegten menschlichen Schuld fühlen wir uns frei, nicht mehr betroffen als irgend andere Bürger in deutschen Landen. Unsere Obliegenheiten gegenüber Staat und Mitmensch sind wir stets sauber und korrekt nachgekommen. Doch in Gottes Augen sind wir ein treubrüchiges Volk. –

Was ist anders, besser geworden im inneren Leben des deutschen Judentums in unseren unseligen Tagen?

Hat ein Sturm der Enttäuschung die liberalen Geistlichen von ihren Kanzeln fortgefegt? Hat man ihnen die Gefolgschaft versagt? Nichts von alledem. Selbigen Herren ist es zum Teil recht wohl, sie machen in Zionismus.

Sie erlauben weiter Verbotenes, segnen weiter unjüdischen Ehen ein und erfreuen ihre Nachbeter mit den modernsten jüdisch-völkischen Phrasen.

Der liberale Jude, der einstmals in Stuttgart oder anderswo „sein“ Jerusalem fand, abonniert heute ein zionistisches Blatt, das eine andersartige Assimilation – also immerhin wieder Assimilation – eine Scheinlösung, die stolz macht und die, weil sie Gottes Willen nicht kennt, noch achtet, uns – vor allem – in keiner Weise in unserer Bequemlichkeit hemmt. Klubsesseljudentum mit umgekehrten Vorzeichen.

Zion, aus Liturgie und Predigt einst gestrichen, fortradiert, wird seelenruhig in den – Reisepaß wieder eingetragen.

 Die deutschtümelnden Juden vergnügen sich auf ihre Weise. Sie gründen Sportvereine, sogar ein leibhaftigen Kulturbund, auf daß wir um des lieben Himmels willen „nicht wieder in ein Ghetto“ kommen.

Die zionistischen Parteigänger der nationalistischen Assimilation an die staatspolitischen Ideengebilde der Umwelt sind in voller Emsigkeit. Sie werben und propagieren. Sie haben es leicht. Eine zionistische Teschuwah ist keine Askese. Neuhebräisch schnell gelernt. Die Enkel derer, die den Gedanken an Jerusalem einst aus ihren Synagogen bannten, drängeln heute vor englischen Konsulaten.

Im Übrigen denkt man Auswanderung, Berufsumschichtung, wirtschaftliche Selbsthilfe usw. Man ist zwar seelisch überaus gedrückt, aber nicht zerknirscht; niedergeschlagen aber nicht demütig. Am allerwenigsten Gott gegenüber.

Doch wer spricht von Gott bei alledem? Wer?

Wie jämmerlich würdelos und kopflos hat uns doch Gottes große Heimsuchung angetroffen. Die Schofartöne der Zeit, die Posaunen von Gottes Strafgericht blasen zur Heimkehr.

Gott wartet auf sein todkrankes Volk. Vergebens?

„Da der Prophet Amos fragt:

Wird das Volk nicht erzittern, wenn das Schofar geblasen wird in der Stadt?

Nein, Amos, das hast du wohl nicht gewusst, - das Volk wird weiter tatenlos bleiben wollen, wird – nicht erzittern! Gottes Volk wird Auswanderung oder Kulturbund propagieren, aber erzittern vor Gottes strafender Waltung wird es nicht.

Ist es dann noch Gottes Volk?? 

 

„Heimkehr ins Judentum“ S. 20-23   Hermon Verlag 1334

„Gehe zum Frieden“

Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH               (1833 – 1900)    Auszug aus dem Kommentar zur Haftoro des Wochenabschnittes TAZRIA   V.19...