woensdag 31 januari 2024

Parsha Pearls: Parshas Yisro

 

Parsha Pearls: Parshas Yisro

One Must Have a Rebbe
Don’t Be a Blind Follower
The Danger of Heretical Thoughts
Make Clear What You’re Protesting Against

 

https://torahjews.org/2023/11/24/parsha-pearls-parshas-yisro/

 

Tag: Rosenheim

Rabbiner Samson Raphael HIRSCH: Aus seinem Kommentar zur Wochenabschnitt Jissrau


Rabbiner Samson Raphael HIRSCH

                              (1808-1888)


יתרו

 

Aus seinem Kommentar zur Wochenabschnitt Jissrau

 

 Kap.18 V.13-15 …Die Zeit der Wüstenwanderung war daher die hohe Schule des jüdischen Volkes…

 Kap. 19,6 Ihr aber sollt mir ein Reich von Priestern und ein heilig Volk sein! Dies sind die Worte die du zu Jisraels Söhnen sprechen sollst.

 Kap.19 V.6 und gerade für diese Bestimmung der gesamte Erde sollt ihr mir ein ממלכת כהנים und ein גוי קדוש sein. ממלכת כהנים, jeder einzelne von euch soll dadurch, daß er sich in seinem ganzen Tun von mir „regieren“ lässt, in Wahrheit עול מלכות שמים auf sich nimmt und verwirklicht, ein כהן ein Priester sein, der durch sein Wort und Beispiel die Erkenntnis und Huldigung Gottes verbreitet, wie es in Jesajas 61,1 ausgesprochen ist: „Ihr aber werdet Priester Gottes genannt werden, Diener unseres Gottes, wird man euch nennen,“ und ,גוי קדוש und wie priesterlich in jedem einzelnen, so soll eure Gesamterscheinung nach außen eine Gott heilige sein; ein einziges Volk unter den Völkern, das nicht dem eigenen Ruhm, der eigenen Größe, der eigenen Verherrlichung, sondern der Begründung und Verherrlichung des Reiches Gottes auf Erden angehört; und auch dieses wieder eben dadurch, daß es seine Größe nicht in der Macht, sondern in der absoluten Herrschaft des göttlichen Sittengesetzes sucht; denn das eben heißt: קדושהלא פחות ולא יותר , אלה הדברים וגו', wie die Weisen erläutern, nicht weniger und nicht mehr. Ein Minderes genügt nicht für eure Zukunft, und ein Mehreren bedarf es nicht.

 10. Gott aber sprach zu Mosche: Gehe zum Volke und heilige sie heute und morgen, und lasse sie ihre Kleider waschen. 11. Lasse sie zum dritten Tage bereit sein; denn am dritten Tage wird Gott vor den Augen des ganzen Volkes auf den Berg Sinai sich hinablassen. 12. Umgrenze das Volks ringsum und sage ihm: Hütet euch wohl, den Berg zu besteigen oder auch nur einen Teil davon zu berühren! Jeder, der den Berg anrührt soll getötet werden. 13. Daß ihn keine Hand berühre! Denn gesteinigt soll er werden, oder nur hinabgestürzt, sei es Vieh oder Mann, er soll nicht leben bleiben; wenn das Entlassungshorn seine Töne dehnt, dürfen sie wieder den Berg ersteigen.

 V.10-13 …Ist ja das jüdische Gesetz das einzige, das nicht aus dem Volke hervorgegangen, daß  zu konstituieren es bestimmt war. Ist ja Judentum die einzige „Religion“, die nicht aus dem Schosse der Menschen entsprungen, die in ihr den geistigen Boden ihres Leben finden: und gerade diese „Objektivität“ des jüdischen Gesetzes, der jüdischen „Religion“, macht sie zu der einzigen ihrer Art, scheidet sie scharf und spezifisch von allem, was sonst auf Erden Gesetz und Religion heißt, und lässt sie das einzige Kulturmoment der Menschheit sein, das sich als Hebel und Höheziel jedes andern Fortschritts betrachten darf, selbst aber als das gegebene Absolute über allen Fortschritt erhaben ist. Weil allen andern „Religionen“ und Gesetze, nur aus dem Schosse der zeitlichen Menschheit hervorgegangen, nichts anderes sind als Ausdruck dessen, was zu einer gegebenen Zeit von einem bestimmten Menschenkreis als deren Überzeugung von Gott, von der Bestimmung der Menschen und ihre Beziehungen zu Gott und zu einander zum Ausdruck gelangte, darum müssen auch alle andere Religionen und Gesetze gleich allen übrigen aus dem Schosse der Menschen zeitlich hervorgegangenen Momente der Kultur, der Wissenschaft, der Kunst, der Sitte mit der Zeit fortschreiten. Sie sind ja ihrer Natur und ihrem Ursprung zufolge nichts anderes, als der adäquate Ausdruck einer zeitlichen Menschheitsstufe in irgendeinem Gebiete der Menschenentwicklung. Die jüdische „Religion“ und das jüdische Gesetz waren aber nicht aus den zeitlichen Überzeugungen der Menschen entsprungen, sie enthält nicht das, was zu irgendeiner Zeit die Überzeugung irgendwelcher Menschen von Gott und den göttlichen und menschlichen Dingen gewesen; sie sind vielmehr von Gott gegeben und enthalten das, was nach Gottes Willen die Überzeugung der Menschen zu allen Zeiten von Gott und den göttlichen, und vor allem von den Menschen und den menschlichen Dingen bilden soll. Das Gottesgesetz befand sich von vornherein im Gegensatz zu dem Volk, in dessen Mitte dieses Gesetz zu erst Stätte auf Erden gewann, ist das untrüglichste Kriterium des göttlichen Ursprungs dieses Gesetzes, das nicht aus dem Volke, sondern AN das Volk kam, und erst nach jahrhundertlangen Kämpfen sich dies Volk zu seinem Träger durch die Geschichte eroberte (Über die Einzigkeit des Judentums und sein Verhältnis zu Religion u. siehe Jeschurun I, S.3)… …

 Kap 20 V.2  Ich ד' sei dein Gott, der ich dich aus dem Lande Mizrajim, aus dem Sklavenhause hinausgeführt.

Kap.20 V.2 …Indem dieser Satz nicht als eine Aussage, sondern als מצוה, als ein Gebot gefasst wird, spricht Er nicht aus: Ich ד', bin dein Gott, sondern: Ich, ד', soll dein Gott sein, und setzt damit als Fundament unserer ganzen Beziehung zu Gott jene Anforderung, die die Weisen unter dem Ausdruck  קבלת עול מלכות שמיםbegreifen.

Der sogenannte „Glaube ab das Dasein Gottes“, wie alte und moderne Religionsphilosophen diesen Begriff auszusprechen pflegen, ist noch um Himmelsweiten von dem ferne, was dieser Fundamentalsatz des jüdischen Denkens und Seins erwartet. Nicht das es überhaupt einen Gott gebe, sondern daß dieser eine, einzige, wahrhaftige Gott mein Gott sei, daß Er mich geschaffen, und gebildet, dahin gestellt und verpflichtet und mich schaffe und bilde, erhalte, überwache, lenke und leite, daß ich mit ihm nur in zehntausendster Vermittlung als zufälliges Produkt des Universums zusammenhänge, dessen allererste Ursache Er vor Äonen gewesen, sondern: daß jeden gegenwärtigen Atemzug und jeder kommende Augenblick meines Daseins ein unmittelbares Geschenk seiner Allmacht und Seinem Dienste zu verleben habe,–  kurz: nicht die Erkenntnis Gottes, sondern die Anerkenntnis Gottes als meines Gottes, als der ausschließlich einzigen Lenkers aller meiner Geschicke und als der ausschließlich einzigen Leiters aller meiner Taten, erst dies ist die Wahrheit, mit deren Zugrundelegung ich den Boden eines jüdischen Daseins gewinne. Der Anforderung: אנכי ד' אלקיך entspricht nur die Erwiderung: אתה אלקי!

…Nur die gänzliche Hingebung an Gott hat uns von den Menschen freigemacht, nur unter dieser Bedingung sind wir frei geworden und sind wir frei. Während andere Menschen und Völker nur mit ihrem geschöpflichen Dasein Gott verpflichtet sind, sind wir es auch mit unserm geschichtlichen, sozialen. Wir sind unmittelbar aus עבודת פרעה in עבודת ד' übergegangen, und אני עבדך בן אמתך פתחת למוסרי singt unsere Nationalhymne: „Ich bin dein geborener Sklave; denn du hast meine Bande gelüftet!“

 V.12  Ehre deinen Vater, und deine Mutter; damit lange deine Tage dauern auf dem Boden, den Gott, dein Gott dir gibt.

 V.12 ….Nicht auf die Erforschungsergebnisse unserer Betrachtung der Natur, auf die geschichtlichen Erlebnisse unseres Volkes, durch welche Gott eins offenbar geworden und seinen Willen uns offenbar gemacht, hat Er unsere jüdische Erkenntnis und Anerkennung Gottes, als Lenkers unserer Geschicke und Leiters unserer Taten gegründet. Himmel und Erde hatten zu den Menschen vergebens gesprochen, ja ihre Sprache hatte polytheistischen Umdeutung gefunden, und nur die dem jüdischen Volke geschichtlich gewordenen Offenbarungen Gottes haben den Menschen den monotheistischen Blick und das monotheistische Ohr zum Verständnis der Natur und der Geschichte wiedergebracht. יציאת מצרים und מתן תורה, diese beide Grundfakten des jüdischen Volkes, welche unsere Gotteshüldigung als des Lenkers und Leiters unserer Geschicke konstituieren, sind geschichtlichen Wahrheiten, Erkenntnis und Anerkennung geschichtlicher Wahrheiten beruhen aber lediglich auf Tradition, und Tradition beruhigt lediglich auf treuer Übertragung durch Eltern auf Kinder und auf willige Entgegennahme der Kinder aus den Hände der Eltern. Somit beruht die Fortdauer der großen jüdischen Gottesstiftung lediglich auf dem theoretischen und praktischen Gehorsam der Kinder gegen Vater und Mutter, und כבוד אב ואם ist die Grundbedingung der Ewigkeit der jüdischen Nation. Durch Vater und Mutter gibt Gott dem Kinde nicht nur das physische Dasein, sie sind auch faktisch das Band, daß das Kind mit der jüdischen Vergangenheit verknüpft, es Jude und Jüdin sein lässt, und sie sind es, die ihm die Tradition der jüdischen Bestimmung in Erkenntnis, Sitte und Erziehung überliefern sollen. Geschichte und Gesetz soll das Kind aus ihren Händen empfangen, um einst beides ebenso auf seine Kinder zu vererben. Wie es zu seinen Eltern aufschaut, sollen seine Kinder einst zu ihm aufschauen. Ohne dieses Band zerreißt die Kette der Geschlechter, geht die jüdische Vergangenheit der Zukunft verloren, und die jüdische Nation hört auf zu sein…

 V.14 Du sollst nicht erlüsten das Haus deines Nächsten; du sollst nicht erlüsten das Weib deines Nächsten, seinen Knecht, seine Magd, sein Ochsen, seinen Esel, noch irgend was deinem Nächsten gehört.

 V.14 „Du sollst nicht morden u.s.w. vermag auch ein sterblicher Gesetzgeber zu dekretieren. Allein „du sollst nicht gelüsten“ vermag nur Gott zu verbieten, der Herz und Nieren prüft, vor dem nicht nur die Tat, vor dem auch der Gedanke und die Regung sich vollzieht. Menschen können nur Verbrechen verbieten und begangene Verbrechen notdürftig vor ihr Tribunal ziehen. Allein der Herd, die eigentliche Brut- und Geburtsstätte des Verbrechens entzieht sich ihrer Kognition. Ist aber einmal erst dort das Verbrechen reif geworden, so schreckt die Ausführung selten vor dem strafenden Arm der Menschengerechtigkeit zurück. Darum bleibt aller Staatenbau der Menschen Stückwerk und vergebens, gebrechliches Bemühen, so lange er nur von der Menschenmajestät getragen und vollendet werden soll, so lange sie „mit Gott“ wohl den ersten Grundstein legen, aber ohne Gott das Gebäude aufführen zu können vermeinen, den Dekalog hinnehmen, um darauf die Nebukadnezarsäule menschlicher Vergötterung aufzurichten, nicht die Menschenmajestät dem Staate und dem Staate dem Gesetze und das Gesetz Gott unterstellen, sondern umgekehrt die Gotteshüldigung pflegen, um damit der schwanken Menschenhüldigung eine Stütze zu gewähren. Nur erst wenn Gott „König über die ganze Erde“ und damit Sein Wille Gesetz der Menschen geworden, werden sich die Kerker schließen und wird das Elend von der Erde weichen. –

 Den „Zehngeboten“ wohnt übrigens mitnichten eine größere Heiligkeit oder eine größere Bedeutung als irgend ein der  der andern im Pentateuch ausgesprochene Gesetze bei. Sie sind weder das ganze Gesetz, noch sind sie heiligere Gesetze als alle übrigen. … Wohl aber sind sie Grundzüge, allgemeine Kapitelüberschriften, zu denen die ganze übrige Gesetzgebung die eigentliche Ausführung bildet. …

 

Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH: Aus dem Kommentar zur Haftoro des Wochenabschnittes Jissrau (zweiter Teil)


Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH

              (1833 – 1900)

 

Aus dem Kommentar zur Haftoro des Wochenabschnittes Jissrau (zweiter Teil)

 

Jesaja Kap. 9, Versen 5 und 6

Die Haftoro bricht bei diesem unsäglich trüben Ausblick auf das im Haß und Verachtung des Judentums mit Aram vereinte Israel ab und schließt mit zwei einem späteren Kapitel (9) des Propheten entnommenen Versen. Dieselben enthalten den Hinweis auf Hiskijahu, jenen König, der mit davidischer Treue für die Gewinnung seines Volkes für die Thora wirkte, und dem vor allen die Erhaltung eines treuen Kernes zu verdanken ist, jener oben genannten „Saat des Heiligtums“, die den unsterblichen Stamm der jüdischen Nation zu bilden berufen war.

Kap.9. V. 5 כי ילד ילד לנו וגו' Ein Kind ward uns geboren. Dieses „uns“ ist aus der Seele eben dieser damals unterdrückten gesetzestreuen Minderheit gesprochen. Der den Achas bereits geborene Sohn werde, so wird es hier verkündet, sich des von Achas mit Füßen getretenen Gesetzes annehmen, aufrichten, was jener gestürzt, und stürzen, was jener verderbenbringend geschaffen hatte. Er wird „Träger der Herrschaft“, – es wird aber eine Herrschaft für Gott sein. Er wird seine königliche Macht als der jüdische König, wie er im Gottesworte vorgesehen ist, zur Anwendung bringen. Mit diesem Königswirken steht er im Dienste der Anbahnung des höchsten, einzig wahren „Friedens auf Erde“, jenes Friedens „ohne Ende“, der am Ziele der Geschichte winkt, und dessen Heilessaaten jener treue Jissroélskern für die Menschheit trägt, der durch Hiskijahus Wirksamkeit erstarken sollte.   

ויקרא שמו: Namen nennen, ist, von Gott gebraucht, gleichbedeutend mit: Bestimmung geben. פלא יוצץ אל גבור אבי עד sind Subjekte und beziehen sich auf Gott. Er nannte den Namen des dem Schear geschenkten Kindes: Fürst des Friedens und bestimmte es damit:

 V.6. למרבה המשרה וגו' auf den Davidsthron zum Mehrer des Gottesreiches, den Davidsthron als echter und eigentlicher Davidssprössling nicht auf Unrecht und Gewalt, sondern auf Recht und Liebe zu gründen und zu stützen. Mit der Herrschaft des Rechtes und der Nächstenliebe, die er durch Verwirklichung des Gottesgesetzes im Volke anbahnt, stellt er den Davidsthron in den Dienst der göttlichen Weltwaltungsziele. Dadurch aber verleiht er ihm eine auch über die Zeiten, da er den Augen völlig entschwunden ist, hinaus in die Ewigkeit reichende Bedeutung und Dauer. „Liebe und Recht“ wurden an der Wiege des jüdischen Volkes einst dem Ahnen als Inhalt der ganzen Sendung seines Volkes bezeichnet (1 B.M. 18,19) –: „Recht und Liebe“ bilden die Grundlage und Ziel derjenigen Herrschaft, die berufen ist, für die Herbeiführung des ewigen Friedens zu wirken. Und was sichert diesem die Jahrtausende überdauernde Werke die Verwirklichung? Es ist die „Rechtswahrung Gottes, קנאת ה' ( קנא: sein Eigentumsrecht vertreten),  – die von jetzt bis in die Ewigkeit an diesem Werke arbeitet.“ Nach jüdischer Lehre ist die Menschheit das teuerste Gut Gottes. Ihre freie Huldigung in freier Entfaltung des vollendeten reinen Menschentums ist das Einzige, was Gott von der Welt erwartet. Er ist der Vater, der nach seinen Kindern sich sehnt, seine Kinder nie aufgibt, sie sich durch nichts auf die Dauer entziehen lassen will. Alle Ereignisse der von ihm gelenkten Gänge der Geschichte stehen im Dienste dieses Werkes. Deshalb gehört die Zukunft ihm. Das hohe Bild des ewigen Friedens, der Paradiesseligkeit auf Erden, das als süßer Traum in den Kindheitsdämmern aller Völkerseelen lebte, und von den an der rauen Wirklichkeit „ernüchterten“ Völkern, solange sie die gottgewiesenen Wege zur Verwirklichung dieses Traumes verschmähten, als Utopie belächelt wird, verdient dieses Lächeln auch wirklich, solange sie sich der Huldigung des „Rechtes und der Nächstenliebe“ verschließen. Auf dem Boden der jüdischen Wahrheit aber ist der ewige Friede und das Paradies auf Erden mitnichten eine Utopie, sondern eine von dem Schöpfer des Menschen verbriefte Verheißung, der am Ziele der Geschichte die concreteste und realste Wirklichkeit winkt.

(Die Haftoroth übersetzt und erläutert, Frankfurt am Main 1896: S. 141- 142  Kommentar zu Jesaja Kap 9 …) 

 

 

dinsdag 30 januari 2024

Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH: Kommentar zur Haftoro des Wochenabschnittes Jissrau (Teil 1)


Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH

            (1833-1900)

 

הפטרת יתרו

 

Kommentar zur Haftoro des Wochenabschnittes Jissrau (Teil 1)

 

Jesaja Kap.6 u.7 und 9 V.5-6

Das Thorawort zeigte uns mit der Gesetzgebung am Sinai die Anbahnung des Wiedereinzuges Gottes in den Menschenkreis, zunächst in Jissroél. Es zeigte uns Jissroél berufen, „ein Reich von Priestern, ein heilig Volk“ zu werden durch Verwirklichung jenes Gesetzes, dem dann in seiner Mitte ein Heiligtum erstehen sollte, von dem aus, durch die in ihm zu vollziehenden symbolischen Weihehandlungen, an der Gewinnung Jissroéls für sein „menschheitspriesterlichen Beruf“ und an seiner Erziehung zu einem „heiligen Volke“ stets gearbeitet werden sollte, auf daß Gott, nicht in dem Heiligtume, sondern in des Volkes Mitte seine segnende Gegenwart dauernd bekunde. – Das Prophetenwort  zeigt uns Gottes Herrlichkeit diesem Heiligtume sich enthebend, in dessen Herstellung und in dessen allerdings mit exakter Pünktlichkeit vollzogenen Weihebehandlungen das betörte Volke die Summe seiner Verpflichtungen gegen das Gesetz erschöpft wähnte, dem es doch jede heiligende Einwirkung auf sich und auf die Gestaltung seines Lebens versagte, zu dem es sich vielmehr im Leben in ausgesprochenen Gegensatz gesetzt hatte. Sie hatten vergessen, daß, wie das Wort des Psalmisten (Ps. 68, 18) es ausspricht, אדני בם Gott nur dann und nur so lange in ihrer Mitte sei, als סיני בקודש, als der Altar im Heiligtume für sie die Bedeutung des Sinai habe, sie in den in ihrem Namen vollzogenen Opferhandlungen ihr נעשה ונשמע „wir wollen Deinen Willen vollbringen und stets auf ihn hinhören!“ wiederholten, das Feuer auf dem Altare das Symbol des אשדת sei,  des „Feuergesetzes“, das durch unsere Hingebung und durch die Hingebung alles Unsrigen seine Verwirklichung, seine „Nahrung“ finden will. Sich einen Menschenkreis zu schaffen, der, als erster im Kreise der Völkerfamilien, durch freie freudige Erfüllung seines als Gesetzeswort an den Menschen ausgesprochen Willens seinem ganzen Leben in allen seinen Verhältnissen das Gepräge der vollendeten edlen göttlich reinen Menschentums aufdrücke: dazu war Gott, wie es in dem Schlussworte des durch Moses überbrachten Gesetzes rückblickend heißt, „aus den Myriaden seinen Willen in unverbrüchlichem Gehorsam vollbringender Diener“ in Jissroéls Kreis eingegangen. Da Jissroél in seiner Mehrheit diesen Gehorsam beharrlich verweigerte, sah der Prophet, es war der Augenblick seiner Berufung, Gottes Herrlichkeit sich zurückziehen und schaute eben diese רבבות קודש, die Seraphim Seiner harrend, und vernahm ihren Ruf: קדוש קדוש קדוש וגו' die Verkündigung der Heiligkeit Gottes, und daß „die Fülle der ganzen Erde die Offenbarung Seiner Herrlichkeit sein solle.“

„Heiligt euch, so werdet ihr heilig werden, denn heilig bin Ich –“ und: „Heilig sollt ihr sein, denn heilig bin Ich, Gott, euer Gott!“ (3 B.M. 11,44 und 19,2) hatte Gott zu Jissroél gesprochen, und damit „Heiligkeit“, das ist kampflos freudiges stetes Bereitsein zur Erfüllung des göttlichen Willens als höchste Stufe der menschlichen Vollendung, und das והתקדשתם, die Selbstheiligung, die Selbsterziehung zu dieser Stufe als durch das Gesetz gegebene und ermöglichte Aufgabe ausgesprochen, durch freie Unterordnung unserer Sinnlichkeit unter das Gebot der Pflicht unser irdisches Teil selbst in das Bereich des Ewigen zu erheben. Bei diesem Rufe der Seraphim, der die ganze Erde als Offenbarungsstätte der Gottesherrlichkeit verkündete, sah der Prophet das Heiligtum in seinen Grundschwellen erbeben. Es war ja gerade bestimmt, die erste Vermittlung zur Verwirklichung dieser Gottesabsicht zu sein und ertrug deshalb den Ruf nicht, der den Gegensatz des ganzen Tempellebens zu dem von Gott durch es beabsichtigten Zwecke in seiner ganzen Schärfe hervortreten ließ. Zu gleicher Zeit sah er das Feuer auf dem Altar verlöschen: „das Haus wollte sich mit Rauch füllen.“

Da erfasst ihn tiefes, verzweiflungsvolles Weh. O daß ich verstummen muss! Daß ich dem verblendeten Volke nicht sagen kann, was ich geschaut! Ich fühle meine eigene Unzulänglichkeit, und mein Volk würde mich nicht verstehen. Die ganze Anschauungs- und Denkweise ist in dem Grade von der Verderbnis ergriffen, daß jede Verständigung ausgeschlossen ist. Die Worte haben einem andren Sinn, die Begriffe einen anderen Inhalt erhalten. – Da hält ihm der Seraph eine scheinbar erloschene Kohle vom Altare an die Lippen und lässt ihn fühlen, daß sie noch einen Glutkern berge, der nur des Hauches seines Mundes, seines Wortes harre, um wieder zur Flamme angefacht zu werden. In dem Augenblicke, da er dies begriffen, und vertrauensvoll und stark in den Dienst der Erhaltung und Belebung seines Mundes, seines Wortes harre, um wieder zur Flamme angefacht zu werden. In dem Augenblicke, da er dies begriffen, und vertrauensvoll und stark in den Dienst der Erhaltung und Belebung und Wahrung dieses heiligen Feuers sich stelle, werde seine eigene Unzulänglichkeit verschwunden sein. Jetzt vernahm er den Gottesruf, wer für die verlassene Gottessache auf Erden eintreten wolle, und jetzt erhob er sich und sprach das Wort des großen Ahnen: „הנני, ich in bereit, sende mich!“

Das erste Wort aber, das in seiner Sendung im Namen Gottes zu sprechen hatte, war ein lauter Kampfesruf gegen alle „geistlichen und weltlichen“ Machthaber in Jissroél. Er hatte an das im tiefinnersten Herzen der Nation nur schlummernde Volksgewissen zu appellieren und laute Anklage zu erheben, daß man das an sich empfängliche und für das Höchste befähigte, durchaus noch nicht unrettbar verlorene Volk verführe, es stumpf und unempfänglich, es blind und taub und „dadurch seine Heilung unmöglich“ mache!

Das war der erste scharfe Hauch, der den Glutkern vor dem Erlöschen bewahren sollte. – Doch zugleich ward ihm auf die Frage, wie lange dieser Zustand dauern werde, die jede auf einen unmittelbaren, durchgreifenden und sichtbaren Erfolg gerichtete Hoffnung niederschlagende Antwort: Die Rettung der Mehrzahl werde auch seinem Worte nicht gelingen, die vielmehr bis zur hereinbrechenden Katastrophe in ihrer Verblendung verharren werde. Der Rettung der jetzt unterdrückten treuen Minderzahl, daß nicht auch sie sich fortreißen lasse und verloren gehe, gelte seine Sendung, und diese Rettung werde gelingen. Wenngleich auch dieser treue Kern, „das Zehntgeweihte“, gleichfalls in einer langen Reihe seiner Geschlechter der läuternden Flamme ausgesetzt werden müsse, und auch von ihm viele Generationen abfallen werden, so sei doch die Zukunft sein, und er bilde den immer ersterbenden Stamm, der die Saat des Heiligtums, der Menschheitsheiligung, für alle Zukunft schützend in sich berge und so die Zukunft rettete

(Die Haftoroth übersetzt und erläutert, Frankfurt am Main 1896: S. 132- 134  Kommentar zu Jesaja Kap 6 …) 

 

„Gehe zum Frieden“

Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH               (1833 – 1900)    Auszug aus dem Kommentar zur Haftoro des Wochenabschnittes TAZRIA   V.19...