Rabbiner Dr. Salomon BREUER
(1850 – 1926)
בא
Belehrung und Mahnung zur Wochenabschnitt BAU (Auszüge)
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Schwere Schickungen,עשר מכות , die Gott über Pharao verhängte, gingen der Erlösung des jüdischen Volkes voraus. Bis zur letzten Stunde jedoch verschloss sich Pharao dem Gotteswillen, die Geknechteten zu entlassen. Denn, wie es wiederholt heißt, Gott hatte Pharaos Herz verstockt hart, unempfindlich gemacht. Unbegreiflich, unfassbar erscheint auf den ersten Blick diese von Gott Pharao gegenüber geübte Waltungsweise. Hätten doch die „Plagen“ den erwünschten Zweck erreicht, wenn Gott nicht selber sie um ihre Wirkung gebracht und dem Pharao, indem Gott sein Herz verhärtete, die Freiheit seines Entschlusses genommen hätte. Haben die Weisen nicht recht, wenn sie zu dem Vers unserer Sidra כי אני הכבדתי את לבו die Bemerkung fügen: מכאן פתחון פה למינין לומר לא היתה ממנו לעשות תשובה den Gesetzverächtern sei hier die Gelegenheit gegeben zu behaupten, Gott selber habe nicht gewollt, daß Pharao תשובה tue, heißt es doch: „Ich habe hart gemacht sein Herz“ –
Wir aber glauben, daß bei dieser Behauptung eine Verwechslung von Ursache und Wirkung vorliegt: nicht weil Gott Pharaos Herz verhärtete, musste Plage auf Plage folgen, sondern weil Plage auf Plage folgen sollte, musste Gott Pharaos Herz verhärten.
בא אל פרעה כי אני הכבדתי את לבו Hierzu bemerken die Weisen: הה"ד כובד אבן ונטל החול וכעס אויל כבד משניהם dies sei der Sinn des Mischleverses (27,3): „Die Schwere des Steines, die Last des Sandes, die Auflehnung des Toren (gegen Gott) ist schwerer als beide“.
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ה' צדיק יבחן ורשע ואהב חמס שנאה נפשו. Gott prüft den Gerechten: den Frevler und den, der Gewalttat liebt, haßt Seine Seele (Ps.11). Mit diesen Worten hat der Psalmensänger die Wahrheit der jüdischen Anschauung gekündet, mit der sie jener so oft erörterten Frage begegnet צדיק ורע לו רשע וטוב לו wieso es komme, ass der Pflichttreue so oft zu leiden habe, während der Pflichtvergessenen das ungetrübte Glück lächelt
Und ihre Antwort lautet: Gerade den Pflichtgetreuen „prüft“ Gott durch Leiden, die ihn treffen, wie durch das äußere Glück, das der Böse erfährt. Hätte Pflichttreue alsbald äußeres Glück zur Folge , während jede Pflichtvergessenheit es verscherzte: Klugheit und Berechnung, nicht Pflichtgefühl wären die Beweggründe der menschlichen Handlungen, und die einzig wirkliche Bestimmung des Menschen, aus Pflichtgehorsam und nur aus Pflichtgehorsam das Gute zu üben und das Böse zu lassen, wäre nicht vorhanden. Die Leiden, die der Brave zu bestehen hat, sind somit ein Beweis der Liebe Gottes, ein Beweis des Anteils, den Gott an seiner sittlichen Vollendung nimmt, und je größer die sittliche Kraft, um so schwerer mag oft die Leidensprüfung sich gestalten. Es sind ja eben nicht die schlechtesten Schüler, denen die schwersten Aufgaben erteilt werden. Wenn daher einem notorisch Gesetzlosen und Gewalttätigen äußerlich ungetrübtes Glück beschieden ist, so ist das nicht ein Zeichen von Wohlwollen der göttlichen Vorsehung. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist der göttlichen Erziehung nicht wert, weil nicht mehr fähig. Ginge es ihm schlecht, es würde ihm nicht bessern, würde ihn vielleicht nur zu noch verderblicheren Ausschreitungen hinreißen – Beurteilungen, die freilich nur dem das Innere schauende Gottesauge zustehen (Komm. das.)
Diesem Gedanken hat aber, wie es scheint, der weise König (Mischle 27, 21-22) in einem treffenden Bilde sinnvollen Ausdruck verliehen: מצרף לכסף וכור לזהב ואיש לפי מהללו“Für das Silber der Tiegel, für das Gold der Ofen, und der Mann je nach seinem Ruhme“; אם תכתוש את האויל במכתש וגו' לא תסור מעליו אולתו „Stampftest du jedoch den Toren auch in der Stampfe, du würdest seine Torheit von ihm nicht entfernen können“ – Wenn du meinst, je größer die Pflichttreue, desto geringer die Prüfung, und je größer die Pflichtvergessenheit, desto schwerer die Prüfung, so irrst du gewaltig; denn je edler das Metall, desto größer der Läuterungsprozess, desto mehr sucht man es von allen ihm anhaftenden Schlacken zu befreien: מצרף לכסף für das Silber nimmt man einen Tiegel, וכור לזהב aber für Gold den Ofen, ואיש לפי מהללו so wird auch der Mensch entsprechend seiner Würdigkeit und dem edlen Gehalt seines Wesens geläutert und geprüft; denn אויל jedoch, den Toren, und so bezeichnet der Weise bekanntlich den für alle göttliche Lebenswahrheit Unempfänglichen, den unverbesserlichen Gesetzlosen, den prüft Gott überhaupt nicht, da bei ihm vor Gottes schauendem Auge jede Prüfung zwecklos sich erweist.
…Jahrhunderte lang sah Gott lächelnd den verwerflichen Bestrebungen Pharaos zu, ließ Mizrajim, das entarteste Volk jener Zeit, zur kolossalen Macht emporwachsen, unter deren gewissenloser, unmenschlicher „Politik“ Unschuldige furchtbar zu leiden hatte. Aber es galt, den אבן ישראל für seinen künftigen Gottesberuf in leidvollem „Läuterungsprozess“ heranzubilden, und Pharaos und Mizrajims schließlicher Untergang hätte sich nie zu einer weithin sichtbaren, in alle Zukunft ragenden Bekundung des „allmächtigen Gottesfingers“ gestaltet, wenn Gott die mizrische Macht nicht restlos hätte sich entfalten lassen.
המשל אומר מן שטייא לית הנייא אלא מן קצייא Dieses Sprichwort liefert die ausreichende Erklärung für die göttliche Waltung, wie sich in Mizrajim offenbarte: Solange unfruchtbare Bäume bestehen und wachsen, bieten sie oft nicht den geringsten Nutzen, gewähren keine Frucht, vielleicht auch kein Schatten und stehen wohl gar hindernd im Wege; ihr Nutzen setzt erst in dem Augenblick ein, da sie gefällt werden und ihr Holz mannigfachen Zwecken zugeführt wird – Und deshalb lässt man sie gerne bestehen, lässt sie machtvoll sich entfalten; denn je gewaltiger ihr Stamm sich emporreckt, desto reicher der Nutzen, wenn erst die Axt an sie gelegt wird. Pharao war allerdings der unfruchtbarste Baum, den man sich denken kann. Gott aber ließ ihn wachsen, seine majestätische Größe zum Himmel emporrecken, um ihn dann durch überwältigende Schläge niederzuschmettern. Wieviel Holz, wie viel „Brenn- und Baumaterial“ hat aber dieser Baum geliefert! Das ist das Feuern an dem wir heute noch unsere und unserer Kinder Herzen erwärmen, diese das Holz, das köstliche Werkzeug lieferte, mit dessen Hilfe der Lebensbau des Gottesvolkes errichtet ward!
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למען תספר באזני בנך וגו' meint daher das Gotteswort in Eingang der Sidra: Wenn wir unseren Kindern von יציאת מצרים erzählen, dann sollen wir uns in unseren Erzählung nicht erst mit dem Moment einsetzen, da את אתתי אשר שמתי בם Gott unter gewaltigen Wundertaten „die Axt an den pharaonischen Riesenbaum legte“, sondern sollen ihnen vor allem erzählen את אשר התעללתי במצרים „wie Gott Mizrajim gegenüber lange spöttisch lächelnd sich verhielt“, lange als יושב בשמים ישחק das mizrische Unwesen gewähren und den „unfruchtbaren Baum“ üppig Emporschießen ließ –
Von diesen beiden Momenten sollen wir unseren Kindern erzählen. Dieses התעללתי ist für unser jüdisches Bewusstsein nicht minder wichtig als die göttlichen אותות – Denn nimmer hätten die göttlichen Wundertaten uns zum Gottesvolk gewonnen, wenn ihnen nicht die Zeiten vorangegangen wären, in denen Gottes Waltung „התעללתי“ geübt hat.
Auf beiden Waltungsoffenbarungen Gottes beruht unsere ewige Gotteserkenntnis: וידעתם כי אני ה'
Quelle: Rabbiner Dr. Salomon BREUER Belehrung und Mahnung zweiter Teil Exodus J.Kaufmann Verlag Frankfurt am Main 1935 S. 14-20
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