Rabbiner Samson Raphael HIRSCH
(1808-1888)
ויגש
Aus seinem Kommentar zur Wochenabschnitt Wajigasch (2)
Kap.45 V 11 Ich will dich dort ganz versorgen, denn noch kommen fünf Jahre Hungersnot, du könntest und dein Haus und alles Deinige verarmen.
V.11 ...Wiederholt weist Josef die Brüder darauf hin, wie diese ganze Kette von Ereignissen offenbar als Gottesfügung darstellt und in der Tat führt uns wohl kaum eine andere Geschichte in gleichem Maße die Weise der göttlichen Providenz vor Augen. Sie ist der lebendigste Kommentar jenes großartigen Spruches salomonischer Weisheit: רב מחולל כל ושוכר כסיל ושוכר עוברים (Prov. 26,9). „Der große Weltenmeister erzeugt aus dem kleinsten Anfang alles; wie physisch, so auch sozial, lässt er alles aus den kleinsten Keimen werden. Es ist es, der alles zu kreißender Geburt führt und hat als solcher Thoren, und hat als solcher Verbrecher in seinem Dienste“. Ohne es zu wissen und zu wollen, dient Ihm auch die Torheit und die Sünde. In dieser Geschichte liegen die Fäden offen, in anderen nicht; aber an dieser lernen wir die Gänge Gottes. An den „zwei Loth Seide“, wie die Weisen es ausdrücken, die Jakob an Josefs Rockverbrämung spendete, ging der ברית בין הבתרים in Erfüllung. In Kanaan wäre die Jakobsfamilie schwerlich ein Volk geworden. Wie sie heranwuchs, hätte sie sich unter die Bevölkerung zerstreut. Um zum Volke zu werden, ohne sich zu vermischen dazu musste sie in die Mitte einer Nation kommen, der das ganze jüdische Wesen national widerstand, und dies war Mizraïm. So war später der Fanatismus, der die Ghetti baute, das wirksamste Mittel in Gottes Hand, um uns von aller Unkultur des Mittelalters fern zu halten und im engen Umkreis Familiensinn und Familienglück und Gemeindesinn bei uns zu pflegen. Um uns in Mizraïm eine gesonderte Provinz zum Boden der Entwicklung zu sichern, musste ein Sprössling voran und „Vater“ des Pharao und Gebieter des Landes werden; und damit kein Egypter dem Iwri vorwerfen könnte, ihr gehört nicht hierher, ihr seid nicht hier geboren, mussten alle Egypter die Scholle, wo ihre Wiege gestanden, verlassen und selber Fremdlinge auf den Boden werde, den sie fortan bebauten. –
So hatte auch bereits die wunderbare, ohnehin so folgenreiche Strömung der Völkerwanderung Europa fast überall mit Fremdlingen bevölkert, als der Jakobsstamm seine große Wanderung in die Zerstreuung unter die europäische Menschheit antrat, und del Verweisungsdekrete germanischer Unduldsamkeit: „Ihr gehört nach Palästina hin!“ stellt die Geschichte unerbittlich die Gegenfrage entgegen: „Hat denn deines Urahns Wiege hier gestanden?“
Und endlich war das erste wie das letzte Galuth aus קנאה und שנאת חנם entsprungen, und durch sie der harte Schicksalstiegel motiviert, in dem sie alle geschmolzen und in der Schule des herbsten Unglückes zum Gefühle der Gleichheit und Brüderlichkeit die geläutert wurden. –
V.17 Pharao sprach
zu Josef: Sage deinen Brüdern, thuet dies: Beladet eure Tiere und gehet, kommet
zum Lande Kenaan.
V. 17 …בעיר .בעירכם , Tier, von בער das zugleich brennen, Tier und den Thoren bedeutet. Wir haben für Weisheit kaum so viele Namen als für Torheit, vielleicht, weil die Narrheit mannigfaltiger und buntscheckiger ist: סכל, פתי, כסיל, בער. Unter den verschiedenen Bedeutungen des בער ist wohl jedenfalls „Brennen“ die ursprüngliche. Denn lautverwandt damit heißt באר: aus der Dunkelheit ans Licht treten, daher באר: der lebendige Brunnen, Wasser aus der Tiefe, und באר: klar machen, בהר: leuchten, gesteigert בער brennen. Jemanden, zum Glanz, zur Auszeichnung hervorheben: בחר erwählen.
In welcher Beziehung heißt das Tier= בעיר? חיה heißt es, insofern es das Leben repräsentiert im Gegensatz zur Pflanzenwelt. בהמה bezeichnet die dem Menschen sich als במה (rad.בום:בהם ) als „Piedestal“ seiner Menschengröße unterordnende Tierart (vergl. auch die Verwandtschaft von בהם mit פעם, auf etwas anschlagen, auftreten, stoßen; Schritt und Amboß ). בעיר heißt das Tier nach seinem instinktiven Charakter. Wir haben die Betrachtung des Begriffes חטא, dessen Verwandtschaft mit חתה, und demgemäß חטא als ein absichtloses Hinausfallen aus dem „göttlichen Feuer“, sowie כפרה als ein Wiederhingeben an das אשדת als לחם אשה ד' zu erkennen geglaubt. (Siehe zu Kap. 39,9). Ist dies kein Traum, so würde die im Menschen waltende göttliche Kraft, der der Mensch sich frei hingeben soll und sich ihr daher auch muss entziehen können, sich als „Feuer“ darstellen. Es gibt aber auch lebendige Wesen, die sich dem göttlichen Willen nicht entziehen können, in welche jede Regung und jede Tätigkeit ein willenloses Produkt des in sie gehauchten göttlichen Feuers ist, deren Lebenstätigkeit somit ein „Brennen“ ist. Solange diese Feuerkraft in ihnen lebt, können sie sich ihr nicht entziehen, und בעיר wäre somit die prägnanteste Bezeichnung des Tieres nach seiner unfreien, instinktiven Natur. So wird 2 B.M.22,4 jede naturgemäße, das fremde Eigentum gefährdende Tätigkeit des Tieres, שן ורגל hinsichtlich deren es מועד מתחלתי ist, für deren Leitung und Wahrung daher die Intelligenz des Eigentümers volle Verantwortung trägt, charakteristisch durch בער und das Tier als בעיר bezeichnet.
Unter der bunten Charakteren der Torheit bezeichnet פתי (von פתה offen stehen) den Arglosen, Unerfahrenen, den äußeren Einflüssen und Vorspiegelungen Preisgegebenen; אויל(אול wovonאולי, verwandt mit אבל,אפל , Verdunkelung des physischen oder geistigen Lichtes) denjenigen, der gar keine feste Ansicht hat, alles unklar anschaut und immer zwischen Zweifeln hin- und herschwankt; כסיל, verwandt mit גזל, der eine unberechtigte Ansicht sich gewaltsam bildet und mit Gewalt behauptet. Es ist der Lendennarr (כסלים) der sich wie ein Athlet auf seine Lenden steift und stämmt, der eine Ansicht, in der er sich einmal festgerannt hat, festhält und keiner Belehrung zugänglich ist.
Eigentümlich ist סכל, offenbar ja verwandt mit שכל, seinem scheinbaren Gegensatz. Beiden liegt der Begriff סגל, die innigste Anregung, zu Grunde. שכל ist jene geistige Kraft, durch welche der Mensch sich die Welt geistig aneignet, die Anschauungen in Begriffe und Urteile umwandelt und festhält; sie ist das Subjektive, das die objektive Welt in sich aufnimmt, eine Tätigkeit, die דעת bezeichnet. Der סכל hat diese subjektive Kraft: allein er bleibt bei ihr stehen, er bildet subjektive Vorstellungen, Begriffe und Urteile, ohne ihnen die objektive Wirklichkeit zu Grunde zu legen, und ohne sie an der Wirklichkeit zu berichtigen. סכל ist somit die missbräuchliche Anwendung des שכל. (Ähnlich wie סבא das missbräuchliche שבע). – בער endlich ist derjenige; dem es wirklich an der Anlage fehlt, der ein instinktives Leben lebt und kaum sich über das Tier erhebt.
Kap. 46 V.1 Da brach Jissroél auf und alles Seine; er kam nach Beer Scheba und opferte Mahlopfer dem Gotte seines Vaters Jizchak.
Kap. 46 V.1 Da brach Jissroél auf, in der freudigsten Stimmung, in dem
Glanz- und Höhepunkt seines ganzen, in bitteren Kämpfen und Leiden so vielfach
geprüften Lebens, er und all die Seinigen. Sie reisten südwärts und kamen an
die letzte Grenzstadt, an das durch die Erinnerung der Väter verherrlichte
Beer-Schewa. Da opferte er זבחים.
Wir finden nicht wieder daß unsere Erzväter זבחים
geopfert hätten. Sie wie alle Noachiden, brachten vielmehr nur עולות. עולה drückt die gänzliche Hingebung
an Gott aus, זבח ist an sich ein von den בעלים zu verzehrendes Familienmahl, und weiht die Familienstätte, das
„Familienhaus“ und den Familientisch zu Tempel und Altar. זבחים, ja in der Regel שלמים,
drücken ja den höheren Gedanken aus, daß „Gott zu uns komme“, sie werden daher
aus jenem heiteren Bewusstsein dargebracht, daß, wo ein Familienkreis pflichttreu
und einig lebt und sich von Gott getragen fühlt, da,,אלקי'
בדור צדיק da sei Gott gegenwärtig.
Darum sind שלמים „Friedensopfer“ des
gottgesegneten Familienlebens, so spezifisch jüdisch. Der Gedanke des Aufgehens in Gott und des
Hingebens an Gott dämmert auch in nichtjüdischen Gemütern. Allein daß das
gewöhnliche Leben von Gott so durchdrungen sein kann, daß „man isst und trinkt
und schaut dabei Gott“, daß alle unsere Familienräume Tempel, unsere Tische
Altäre, unsere Jünglinge und Jungfrauen Priester und Priesterinnen, diese
Durchgeistung des gewöhnlichen Privatlebens, das ist eine Spende des Judentums.
Das Jakob-Israel nicht עולות
sondern זבחם opferte, das liegt darin, das
Jakob sich jetzt zum ersten male in seinem Familienkreise glücklich und heiter
und „ganz“ fühlte. In diesem Bewusstsein und Gefühle brachte er sein Opfer,
tief bedeutsam לאלקי אביו יצחק nicht allgemeinלאלקי'. In dem Liede am roten Meer spricht Israel זה אל ואנוהו אלקי אבי וארוממנהו: „In dieser meiner Rettung hat
sich Gott als die mich tragende Allmacht mir gezeigt, auf daß ich ihn in meine
Mitte aufnehme und ihm eine entsprechende Stätte werde; es ist dies aber
derselbe Gott, den mich die Väter gelehrt, dem auch die Väter gedient, und der
durch mich nur noch zu erhöhter Anerkennung gelangen will!“ „Der Belehrung und
dem זכות der Väter verdanke ich diese Rettung“. So auch hier. Die
Seligkeit, die Jakob eben jetzt empfand, schrieb er nicht seinem Verdienste,
sondern dem זכות אבות zu. – Vielleicht auch ist es ein
Hinblick auf die עקדה. Jakobs ganze bisheriges Leben
war nichts als eine in konkreter Wirklichkeit sich vollziehende, עקדה deren Auferstehungsmomente er eben jetzt sich genaht fühlte
V. 2 Da sprach Gott zu Jissroél in Gesichtern der Nacht und sagte: Jaakob, Jaakob! Er sprach: Hier bin ich!
V. 3 Er sprach: Ich bin der Gott, der Gott deines Vaters, fürchte dich nicht, nach Mizrajim hinabzugehen; denn zu einem großen Volke werde ich dich dort machen.
V. 2 u. 3 Gott sprach: „Fürchte dich nicht, nach Mizraim hinaufzugehen!“ Jakob war ja in der freudigsten Stimmung. Diese Anrede muss somit etwas vorangegangen sein, wodurch bei ihm die entgegengesetzte Stimmung, ja ängstliche Besorgnis hervorgerufen worden war, so daß er die Beruhigung bedürfte. Dies ist auch vollständig in V.2 enthalten. Zuerst die Bezeichnung der Erscheinung selbst: מראות הלילה „Erscheinung der Nacht“ spricht schon für den ernst stimmenden Eindruck des Ganzen. Dann der Zuruf: יעקב, יעקב! Nicht: ישראל, enttäuschte vollends Jakob über die folgenschwere Bedeutung dieses Hinabziehen nach Mizraim. Deshalb denn auch Jakobs:הנני! Ich bin bereit für alles was du bestimmst. Darauf Gotte: Fürchte du dich nicht, ich bin der Gott, dem du soeben dem heiteres Familienleben geweiht, und in letztem Ziele winkt auch aus diesem Gange die heitere Größe. Dort sollst du zu dem verheißenen großen Volke werden. Ich selbst begleite dich (deinen ganzen Familienkreis) hinab und führe dich (wenn du zum Volke geworden bist) wieder herauf, und, was dich persönlich betrifft, du wirst Josef nicht wieder verlieren (Vergl. Kap. 15,1)
V. 10 Schimeons Söhne: Jemuel, Jamin, Ohad, Jachin, Zochar und Schaul, Sohn der Kenaaniterin.
V. 10 ושאול בן הכנענית. Wenn unter כנענית hier Dina verstanden ist, die Simeon geheiratet, so dürfte שאול vielleicht nicht Simeons Sohn, sondern der von Schechem erzeugte, von Dina geborene Sohne sein; es wäre dann selbst dieser Sohn der Jacobsfamilie nicht entfremdet worden. Sie wird כנכנית genannt, weil ihr Sohn physisch ein בן כנעני gewesen. Es träte dann hier schon der Grundsatz hervor, Maß in der Verbindung einer Jakobstochter mit einem כנעני: הולד הולך אחר האם, das Kind zur Familie der Mutter, und nicht zu der des Vaters gezählt wird.V.12 Jehudas Söhne: Er, Onan, Schela, Perez und Serach. Er und Onan starben im Lande Kenaan. Perez Söhne waren Chezron und Schimron.
V.12 ער ואונן: Es wird stets bei ihnen hervorgehoben: וימת וגו' Der göttliche Familienschutz ist kein unbedingter, an Reinheit und Sittlichkeit ist die Erhaltung geknüpft. Es genügt nicht, von jüdischen Eltern geboren zu sein. Darum fehlen auch Er und Onan hier nicht.
V. 26 Allen Seelen, die dem Jakob nach Mizrajim kamen, die von
ihm stammenden, außer den Frauen der Söhne Jaakobs, alle Seelen:
sechsundsechzig.
V.26 כל נפש Esaus Haus zählte nur sechs Seelen, und es heißt von ihm כל נפשות ביתו (1 B.M. 36,6), bemerkt ein Wort in מ"ר, Jakobs Haus zählt siebenzig Seelen und sie heißen zusammen nur
ein נפש: כל הנפש לבית יעקב!
Außerhalb des jüdischen Berufes schlägt oft jeder Sohn seinen eigenen Weg ein.
Wo aber in Wahrheit und Treue jüdischer Sinn erhalten ist, da mögen es
siebenzig sein, und es waltet doch in allen ein Geist und einen Sinn.
V. 33 Wird euch dann Pharao rufen lassen und spricht: Was ist
euer Thun?
V.33 In einem Staate wie Mizraim, wo der Mensch völlig in den sogenannten Beruf aufging, und eigentlich kein Mensch, sondern ein Handwerker, ein Landbauer, ein Krieger u.s.w. geboren wurde, war die Frage nach dem Berufe natürlich die erste Frage. Auch sie sollten auf Pharaos Frage ungescheut diese unangenehme Wahrheit hervorkehren; denn der nicht zu umgehende Abscheu der Egypter vor ihrem Berufe war, wie überhaupt die Abneigung der Völker gegen die Juden, das erste Erhaltungsmittel dieses zum Gange durch die Zeiten bestimmten Menschenstammes. Bis zum geistig sittlichen Morgen der Völker schützten die Pallissaden, die der Wahn der Völker gegen die Juden errichtete, diese vor jeder Ansteckung durch die Barbarei und Entsittlichung der Menschen, in deren Mitte sie Jahrhunderte hinab zu wandeln haben sollten. Deshalb kehrte auch hier Josef sofort die den Egyptern unangenehme Seite hervor, in der ausgesprochenen Absicht, damit sie dadurch eine gesonderte Provinz zum Wohnplatz eingeräumt erhielten.
Kap. 47 V. 27 So siedelte sich Jissroél im Lande Mizraijm, im Lande Goschen an. Sie ließen sich dort nieder, wurden fruchtbar und vermehrten sich sehr.
Kap. 47 V.27 ויאחזו: sie ließen sich von dem Boden fesseln. Hier liegt eine Andeutung des Anfangs jener Versündigung, deren Tatsache uns Jecheskeel (Kap.20) aufbewahrt. In dem süßen Bewusstsein, hier sesshaft zu sein, lag im Laufe der Zeit die Gefahr sehr nahe, den Stammesüberlieferungen untreu zu werden und sich ihrer großen Bestimmung zu entfremden.
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