Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH
(1833 – 1900)
הפטרה פרשת ויגש
Aus seinem Kommentar zur Haftoro des Wochenabschnittes Wajigasch
Ezechiel Kap. 37, Vers 15
Als der Prophet im Folgenden die Wiedervereinigung von Juda und Jissroél verkündete, war das Reich Jissroél bereits längst zerstört, seine Bewohner hinweggeführt, und auch über das Reich Juda war bereits das seit lange verkündete Verhängnis hereingebrochen. Die Spaltung, deren einstige Aufhebung hier ausgesprochen wird, muß daher die Zerstörung der gegensätzlichen Reiche überdauert haben. Der Gegensatz ist somit kein äußerlicher. Auch in den Galuthjahrhunderten sieht das Auge des Propheten das in die Mitte der Völker hinausgestreute Jissroél noch in zwei Hälfte geteilt, um die alten geschichtlichen Herrscherstämme Juda und Efraim in ausgesprochener Gegensätzlichkeit geschart. Hie Juda! Hie Efraim! ist auch im Exil noch die Losung. Doch nicht die politische, sondern die religiöse Zugehörigkeit ist ihre Bedeutung. Das Feldgeschrei ist zum religiösen Bekenntnis geworden. Es sind die alten Gegensätze, die Hosea 1,6 und 7 so scharf gezeichnet sind. Efraim, das unter grundsätzlicher Verleugnung des Gottesgesetzes in politischer Größe sein Heil sieht und den mangelnden Gottesschutz durch vergebens gestrebte Bundesgenossenschaft mit den Völkern vergebens zu ersetzen sucht, vielmehr bei den Völkern, unter denen es „brüderlich aufblühen“ (Hosea 13,15), in die es unterschiedslos aufgehen möchte (das. 7,8), für seine Abstreifung alles Jüdischen nur Geringschätzung und Abweisung erfährt – „und es hatte sich doch Freundschaft ausbedungen!“ – (das. 8,9). Und Juda, das allerdings grundsätzlich Gott als seinen Gott anerkennt und auch praktisch einen großen Teil der Gesetze erfüllt, die es in ihrer Gesamtheit theoretisch als ausnahmslos verbindlich anerkennt, aber weit noch entfernt von jene Ernste und jener gottesfürchtigen Gewissenhaftigkeit, die keinen Unterschied kennt unter den Worten des allmächtigen Gottes, vielmehr die Gesetze der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe, die Gesetze, die die Heilighaltung des Lebens, des Vermögens, der Ehre des Nächsten und die Reinhaltung des eigenen Herzens von Neid, Haß und bösen Gelüste gebieten, ebenso hoch, ebenso unverbrüchlich hält wie die grundlegenden Speise- und Reinheits-Gesetze, welche die Ertüchtigung unseres leiblich-sinnlichen Wesens zum gefügigen Werkzeuge des Geistes zum Ziel haben. Und die Erfassung des heiligenden Geistes des Gesetzes? Da antwortet trauernd die Prophetenklage: „Sie Betätigung ihrer Gottesfurcht ist nichts als angelerntes Menschengebot!“ Und was die Erfassung der weltgeschichtlichen Bedeutung des Judentums betrifft, so tönt die Klage: „Die Anschauung des Ganzen ward euch wie die Worte eines mit Siegeln verschlossenen Buches!“ (Jes. 29,11 u. 13). Religiöser Nihilismus, fanatisch feindlich gegen jede jüdische, tolerant gegen jedwede nicht jüdische „religiöse“ Anschauung, ist das Gepräge des vor- und des nachexilischen Efraim-Jissroél. Willkürliche Auswahl, mehr oder minder mechanische Ausübung der erfüllten Gesetze, das ist der Juda-Jissroél und das Efraim-Jissroél, werden, so kündet nun das Prophetenwort, wieder vereinigt werden. Aber diese Vereinigung wird nicht ein trauriges, Wahrheit mordendes Kompromiß sein, daß etwa das Efraim-Jissroél einige Konzessionen nach rechts mache und sich einen jüdischen Anhauch gefallen lasse, während das, wie es Efraim erscheint, „starre“ Juda-Jissroél in coulanter Anpassung „um des Friedens willen“ von seiner „Starrheit“ etwas nachlasse und einige „Konzessionen“ nach links mache. Nicht das ist der Friede, wie Gott in schaut, und nicht das ist die innige Vereinigung, die am Ziele der Geschichte winkt. Efraim und Juda, Israeliten und Juden, beide bedürfen sie der Läuterung, beiden wird die Gotteshilfe zur Erlangung der Reinheit verheißen. Wie die beiden vorbildlichen Scheite des gespaltenen Stammes nur in der Hand des Propheten zu „einheitlichen“ werden, so werden nach den Worten des als „Sohnes der Menschheit“ gekennzeichneten Propheten Efraim-Jissroél und Juda erst geläutert und von ihren Verirrungen gereinigt, in „Gottes Hand“, also beide in gleicher Treue zum Gottesvolke geworden, zur ewigen Einheit geeinigt werden. Die beiderseitige ewige Treue gegen Gott wird ihnen zum ewigen Friedensbunde (V.26) לי לעם „mir zum Volke“, nicht eine Kirche, eine religiöse Gemeinschaft, sondern ein Volk, das in allen Gestaltungen seines individuellen Lebens, wie seiner sozialen und politischen Verhältnisse das Gepräge der Gotteshörigkeit trägt, das war 2 B.M. 6,7 bei der ersten Ankündigung der Erstehung aus dem ägyptischen Sklaventode zum völkergeschichtlichen Leben dem Jakobshause als Ziel bestimmt worden. „Ich werde ihnen zum Gotte und sie werden mir zum Volke“ (V.27) – das ist das einigende Friedensband, das am Ziele ihrer Geschichte die so lange bis zu gegenseitiger Verständnislosigkeit einander entfremdeten Brüder aus dem einen Jakobshause in ewiger Treue gegen Gott auf ewig brüderlich eint.
Damit werden sie auch ihre menschheitspriesterliche Sendung erfüllt haben. (V. 26 bis 29.) מקדשי mein Heiligtum, wird in ihrer Mitte bleiben; und משכני wird über ihnen walten. Das מקדש bezeichnet die jüdische Aufgabe, das משכן die gottverheißenen Folgen ihrer treuen Erfüllung. Ein dem im מקדש bewahrten Gottesgesetze widersprechendes Leben macht den Fortbestand desselben unmöglich. Würde doch der Tempeldienst dadurch den Charakter eines Ersatzes für den in Wahrheit geforderten Gottesdienst im Leben erhalten, und der Fortbestand des Heiligtums inmitten eines entarteten Volkslebens ließe dies ja als von dem Gesetze gebilligt erscheinen. Die Worte der Propheten sprechen ja wiederholt die Wahrheit aus, daß eben um der Erhaltung des Gesetzes willen der Tempel dem Untergangen verfallen sei. Deshalb wird, wenn die Jahrhunderte oder Jahrtausende des Exiles ihr Werk an Jissroél vollzogen haben, der Tempel wieder erstehen und sein ewiger Bestand „in ihrer Mitte“ wird der sprechendste Beweis dafür sein, daß „Ich Gott, Jissroél heilige“, daß ihr Leben das gestaltende Gepräge des Gotteswortes trägt. Diese Erkenntnis wird aber mit um so tieferer und mächtigerer umgestaltenden Kraft die Erhebung und Heimkehr der erlösungsbedürftigen Menschheit bewirken, als die Folge des „ in Jissroéls Mitte dauernd bleibenden מקדש“, sich als „משכני עליהם“ darstellen wird. Das durch מקדש bewirkte Aufblühen alles im Menschen schlummernden Edlen, Herrlichen, Göttlichen, macht diesen Menschenkreis, das Jissroél der Zukunft, der segnenden, ewig schützenden Gottesnähe teilhaftig, und die Befreiung von der Schuld hat dann in Wahrheit die Erlösung vom übel bewirkt. Dieses auf dem Boden des Gottesgesetzes aufblühende Paradies ist aber der mächtige Weckruf, der Gesamtmenschheit zu ihrem und unserem Vater heimruft, um als reine Menschen in Verwirklichung reinen Menschentums derselben Gottesnähe und desselben Paradiessegens teilhaftig zu werden.
(Die Haftoroth übersetzt und erläutert, Frankfurt am Main 1896: S. 87-93 Kommentar zu Ezechiel Kap 37, V15)
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