Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH sz’l
(1833-1900)
הפטרת וירא
Aus seinem Kommentar zur Wochenabschnitt Wajero:
Könige II. Kap.4, V.1 (Auszug)
Ein Contrast und eine Parallele dürften die Wahl dieses Kapitels zur Haftora für וירא bestimmt haben. Der Staat des Gottesgesetzes ist der einzige, und nicht bloß des Altertums, in welchem dem Gläubiger keinerlei Rechte auf die Person, geschweige auf die Kinder des Schuldners zustand. Der Geist dieses Gesetzes sichert den vermögenslosen Schuldner vielmehr auch hinsichtlich des Mobiliarbesitzes vor rücksichtsloser Ausnutzung des Pfandrechtes. Und wo der Rechtsschutz aufhört, da beginnt unter dem Strahle des Gottesgesetzes an die Söhne und Töchter Abrahams und Sarah’s der Anspruch auf Liebe. Das ist die abrahamitische Zedoko im Gegensatz zu dem sodomitischen Rechte. So fordert es Gesetz und Recht der Thora. Dem gegenüber wird uns nun hier ein Einblick in die inneren Zustände im Reiche Jissroéls eröffnet. Wir sehen eine Witwe, die Frau eines Propheten, mit ihren zwei verwaisten Kinder in bitterster Not, – Gläubiger, der, da nichts mehr zu finden ist, die Kinder in Schuldknechtschaft abführen will, - eine Gesellschaft, in der sich kein Begüterter mehr findet, der sich in der Not annimmt, – kann es einen größeren Kontrast geben zu dem Liebeswirken des Ahnen, das in den Worten der Sidra uns vergegenwärtigt war? Diese, vermeintlich aufgeklärte, israelitische Gesellschaft, in der freilich eine „angesehene“ Frau, ganz wie in Sodom auch, im Vollgefühl ihrer Sicherheit sagen konnte: „Inmitten meines Volkes lebe ich!“ bedarf keiner Fürsprache bei Fürst oder Feldherrn! – in der aber Witwen und Waisen der bitterster Not preisgegeben sind, ohne daß sich eine Hand rührt, – ja in der Schuldknechtschaft ganz wie bei den anderen Staaten des Altertums zum herrschenden „Recht“ geworden und sich auch auf die Kinder erstreckte – : gibt es einen grelleren Gegensatz zu dem liebatmenden Geiste des Abrahamszeltes, dem ja auch diese entarteten Söhne und Töchter Jissroéls entstammten? Und wenn nun gar nach der Überlieferung der Väter, der heimgegangen war und seine Kinder in solcher Not hinterlassen hatte, kein Geringer war, als der Prophet Obadja, der sein Vermögen geopfert und sich mit Schulden belastet hatte um hundert Gottespropheten vor dem fanatischen Wüten der mordgierigen Isabel zu retten und in der Verborgenheit zu erhalten – so erscheint die Verlassenheit der Seinen von den Menschen und ihre Rettung durch das Eingreifen Gottes um so bedeutungsvoller.
Wie in der Hütte des Armen als Retter aus sozialem Tode, so offenbart die göttliche Waltung im Hause des Reichen als Retter aus physischem Tode. Die Parallele aber in der Geschichte von der Sunammiterin und ihrem Kinde mit der Geburt Jizchaks liegt auf der Hand. Beide Geburten fehlt die physische Vorbedingung, in beiden zeigt sich die göttliche Allmacht als Herr über die physischen Lebensbedingungen. Was aber nach Gottes Verheißung ins Leben gerufen, das wird auch durch Gottes Allmacht im Leben erhalten und verfällt nicht dem Tode, wenn es ihm auch scheinbar erliegt. Wie das Kind der Sunammiterin einmal, so war das Abrahamsgeschlecht seit Jahrtausenden ungezählte Male dem Tode verfallen. Und wie nach göttlicher Führung das Kind aus dem Tode zum Leben erstand, nachdem die Lebenswärme des Propheten es erwärmt, und sein Mund mit des Propheten Mund, seine Augen mit des Propheten Augen und seine Hände mit des Propheten Händen sich deckten: so ist auch Jissroél aus tausendfältigem Tode erstanden und wandelt als das Unsterbliche unter den Sterblichen, weil und sofern es von den Propheten durchglühenden אש דת, dem alten jüdischen Gesetzes-Feuer durchglüht wird und seinen Mund zum Organ des Gotteswortes weiht, mit seinen Augen die Welt im Lichte des Gotteswortes schaut und seine Hände in den Dienst der Verwirklichung des Gotteswortes stellt.
Im Lichte des durch die Sidra neubelebte Wahrheit zeigt jener Kontrast den verirrten Abrahamssproßen warnend die Parallele den treuen Erben seines Geistes und seines Herzens dem ewigen Schutz und den ewigen Segen des Abrahamsbundes verheißt.
…
(Die Haftoroth übersetzt und erläutert, Frankfurt am Main 1896: S. 26-32 Könige II. 41, Kap 4 V.1 u.w.)
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