Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH
(1833 – 1900)
הפטרת בראשית
Aus seinem Kommentar zur Haftoro Beréschiss
Jesaja, Kap. 42, V.5
Weshalb ist wohl aus dem reichen Schatze des Prophetenwortes gerade dieser Abschnitt zur Haftora für die Sidra בראשית bestimmt worden? An den Anfang der uns „ewig“ scheinenden Welt führt uns das Thorawort und zeigt uns Gott als deren Schöpfer. Das Prophetenwort aber spricht: der einst בָרָא, er ist noch der בורֵא, er ist noch der Schöpfer, er ist noch jetzt ebenso der Herr seines Werkes wie damals als er es schuf. Alles was ist in Himmel und auf Erden hat Dasein und bewahrt Dasein, nicht weil Gott es einst geschaffen, sondern weil Er, der noch jetzt sein Schöpfer ist und Herr, noch jetzt will daß es sei. Hörte Er auf, sein Sein zu wollen, derselbe Augenblick wäre der letzte seines Seins.
Das ist ein gewaltiger, unsere ganze Weltanschauung umgestaltender Gedanke. Was als eherne Naturnotwendigkeit erschien, erscheint uns im Licht des בורא-Gedankens als ein fortgesetztes göttliches Wollen, die ewigen Naturgesetze werden zu in jedem Augenblicke sich verwirklichenden Gottesgedanken, alle Wesen, alle Stoffe und die in ihnen wirkenden Kräfte werden zu צבאות ה' werden Glieder des einen großen, in aller Gegensätzlichkeit einheitlichen und trotz aller Gegensätzlichkeit harmonisch zusammenwirkenden Gottesheeres. Denn unweigerlicher Gehorsam bildet den Grundcharakter, der allen Gliedern der unendlichen Wesenschar ausgeprägt ist, von der Keimkraft, die im Samenkorn lebt, bis zu den Gesetzen, denen die Sonnensysteme gehorche,: sie alle לא יסַבו בלכתם, sie kennen kein Schwanken, sie weichen nicht von dem Wege, den ihr Schöpfer und Herr ihnen vorgezeichnet.
Nur einen Wesenkreis gibt es, der hierin eine Ausnahme macht: das ist der Mensch. Er ist in seinem Wollen und Tun nicht der Naturnotwendigkeit unterworfen Er kann abweichen, er kann den Willen seines Schöpfers zuwiderhandeln. Mit dieser Fähigkeit zur Sünde ist ihm aber erst der Weg geöffnet zu der höheren Stufe des Vollbringens des göttlichen Willens: der Weg zur freien Gehorsam. Denn er ist nicht bloß irdischen Ursprungs. Dem der Erde entnommenen und für seine hohe Bestimmung besonders gestalteten Leibe hauchte – so lehr uns das Thorwort – der Schöpfer Lebensodem in’s Angesicht und dadurch erst ward der Mensch zu einem „beseelten Wesen.“ Das Prophetenwort aber hebt hervor, daß derselbe, der ויפח באפיו נשמת חיים, noch jetzt es sein, נתֵן נשמה לעם עליה וגו' „der Seele gibt dem Volke auf ihr und Geist den Menschen einer jeden Gegenwart.“
Das Thorawort lehrt die hohe Bestimmung des Menschen, die Befähigung auch des gesunkenen Menschen sie zu erreichen und den Anfang der Erziehung zu ihr. Es selbst bildet ja nur die Einleitung zu der Offenbarung des Gesetzes, durch welches Gott sich ein Volk schaffen wollte zur Verwirklichung des צדק, des Rechtideals, zum Werkzeug der Erziehung der Menschheit, zum Träger der ewigen Wahrheiten und zu deren Gottesherold an die Menschen. – Das Prophetenwort spricht es aus, wie Gott Jissroél um dieses Zedek-Ideals willen berufen und es nicht sinken und nicht loslassen werde, bis es in eigner Vollendung selbst seine Bestimmung erreicht und alsdann seine menschheitspriesterliche Bestimmung in Erleuchtung und Befreiung des Menschen zur Wahrheit gemacht habe. Zu diesem Behufe werde Gott aus der scheinbaren Zurückgezogenheit hervortreten und sich in dem Beispiele des selbst erst aus langdauernder Verblendung und Verirrung zum Gottesdiener erzogenen Jissroél wird auch die Menschheit ermutigt, nicht an ihrer Erhebung zu verzweifeln. Uns aber wird die Verheißung ausgesprochen, daß um der Verwirklichung des Zedek-Ideales willen die Thora, zu deren Anfang wir eben wieder zurückgekehrt und deren erster Abschnitt an unserem inneren Auge eben vorübergezogen, n ihrer ganzen Größe und Machteinzigkeit erkennen lasse werde.
…
V.6 קראתיך בצדק: für die Verwirklichung des von mir bestimmten Rechtsideals habe ich dich, Jissroél, berufen, dafür führe ich dich an der Hand, d.h. erziehe dich durch meine Gesetze und durch dein von mir gestaltetes Geschick. – לברית עם: „zum Bunde der Gesellschaft“, erst durch die Erkenntnis und Anerkennung dieses Zedek-Ideals wird der auf anderem Wege nimmer zu erreichende Friede einziehen, nur auf dem Boden dieser die soziale Frage ihre endliche Lösung finden. – לאור גוים: erst durch die Erkenntnis dieses in dem Gottesworte niedergelegten Zedek-Ideals werden die bis dahin einander als geschlossene Volkskörper feindlich gegenüberstehenden Nationen zur wahren Erkenntnis der Wirklichkeit gelangen.
V.7. Erst durch diese Erkenntnis und Anerkennung werden alle die Bande sinken, die die Menschen geistig und leiblich knechten. אסיר: der Gefesselte, die durch Machtmißbrauch Vergewaltigten; יושבי חושך: ein ergreifend anschauliches Bild eines Zustandes, in welchem die Verhältnisse für weite Kreise das ganze Leben zu einem בית כלא gestalten. Befreiung von geistiger und leiblicher, von sittlicher und sozialer Unfreiheit ist das Heilesziel des von Jissroél der Menschheit zu bringenden Gotteswortes.
V.8 Bei dem Namen Gott will nur Ich gedacht werden, und ich werde es fügen, daß die Menschen nicht ferner meine Waltungen den nur von ihrer geistigen Blindheit mit Macht und Leben begabten Götzen zuschreiben.
(Die Haftoroth übersetzt und erläutert, Frankfurt am Main 1896: S. 1 - 11 Kommentar zu Jesaja. Kap. 42 V5…)
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