Rabbiner Samson Raphael HIRSCH
פרשת נח
Aus seinem Kommentar zur Wochenabschnitt NAUACH
Kap.9 Alles
Auftretende, welches lebt, sei euch zur Nahrung, wie das Kräutergrün habe ich
euch alles gegeben.
V. 3 Mit der veränderten Lebensstellung erhält der Mensch auch neue Nahrung. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in der kürzeren Lebensdauer, wo also alles, was die früheren Geschlechter in siebzig bis achthundert Jahren durchgemacht, in siebzig bis achtzig Jahren durchgemacht werden soll, die raschere Entwicklung und der schnellere Umschwung die tierische Nahrung bedingen. Die Verschiedenheit der Temperatur, der Wechsel der Jahreszeiten und Klimate dürfte gleichfalls nicht ohne Einfluß auf die Gestattung der tierischen Nahrung gewesen sein. Der Mensch wird dadurch weniger abhängig von der Nahrung, die der Boden ihm gewährt. Vor der Sündflut war, wie schon bemerkt, nach der Lehre der Weisen und im Einklange mit den geologischen Annahmen, eine größere Stätigkeit der Temperatur, eine üppigere Vegetation, und daher durch die Pflanzen für stete Nahrung gesorgt, so daß es der tierischen Kost nicht bedurfte. Die תורה will keine Vegetarier, sie scheut nicht den Fleischgenuß, macht ihn sogar amי"ט zur Pflicht. Wäre unsere physische Stellung noch die ursprüngliche, so wäre uns wahrscheinlich der Fleischgenuß nicht gestattet worden, jetzt aber ist er wohl Bedürfnis. Sofort aber wie der Tiergenuß gestattet wird, treten auch Speisegesetze, מאכלות אסורות, ein. Bewegen sich doch auch die späteren Speiseverbote des jüdischen Gesetzes nur innerhalb des Tiergenußes, der ursprünglich gar nicht gestattet, nur unter Beschränkungen erlaubt wird. Unter Vegetabilien ist keine Pflanze als solche zum Genuß verboten. ערלה , חדש und כלאי כרב wurzeln in anderen Beziehungen. Das erste Speisegesetz, das weit über den jüdischen Kreis hinaus die ganze noachidische Menschheit bindet, אבר מן החי ist in den folgenden Verse ausgesprochen.
V.5 Jedoch, euer Blut, das euren Seelen angehört, fordere Ich; von der Hand jeden Tieres werde ich es fordern. Von der Hand des Menschen aber, von der Hand eines Wesens, das sein Bruder ist, fordere ich die Seele des Menschen.
V. 5 … Unsere ganze Humanität beruht darauf, daß wir nicht als Leib mit Leibern, sondern als Geist mit Geistern verkehren und in jedem Menschen diesen Geist erkennen. Jedem Menschen ist die נפש eines jeden Menschen anvertraut, und wenn durch Schuld eines Menschen eine Menschenseele früher von hier fortgeht, als es Gottes willen ist, der sie hierher gestellt, so vermißt sie Gott hier, ist sie דורש מידו; auch die kleinste Spanne Zeit des mühseligsten Menschen ist Gott heilig; und wer sich oder andern auch nur um eine Sekunde früher das Band löst, das die Seele durchs Blut mit dem Hiersein verkürzt, eine Sekunde früher das Band löst, das die Seele durchs Blut mit dem Hiersein verknüpft, ist Gott verantwortlich.
V. 6 Wer das Blut eines Menschen vergiesst, dessen Blut soll durch den Menschen vergossen werden; denn in einer Gottesgestalt hat Er den Menschen gebildet.
V.6 Den richterlichen Strafendes göttlichen Gesetzes liegt weder die Theorie des Abschreckungssystems, noch die Vergeltung, des sogenannten jus talionis zu Grunde… Schon die Tatsache, daß dem jüdischen Strafgesetze kein Indizienbeweis und kein Selbstgeständnis gilt, das Leibesstrafe nur בעדים והתראה , nur auf Grund von Zeugen, die nicht nur den Vorgang gesehen, sondern den Angeklagten im Augenblick des Vorhabens mit dem Buchstaben des Gesetzes gewarnt haben, erkannt werden darf, ein Zusammentreffen, das gewiß zu den seltensten gehört, und dem der Vorbedachte Verbrecher in leichtester Weise entgehen kann; die Tatsache ferner, daß für die meisten Verbrechen gegen Eigentum, selbst für Raub, gar keine nicht einmal eine Geldstrafe קנס, sondern nur Wiedererstattung תשלומין erkannt wird; Schon diese auffallende Eigentümlichkeiten des jüdischen Strafgesetzes widersprechen entschieden dem Prinzipe der Abschreckung. Und gerade das וכל ישראל ישמעו ויראו, auf das man Bezug nimmt ist der positive Gegenbeweis. Es sind nur vier Strafvollziehungen: , עדים זוממין , בן סורר ומורה , זקן ממרה , מסית ומדיח bei welchen das Gesetz den Zusatz gibt: das ganzen Volk höre es und fürchte mich, ferner solches zu verüben. Aber gerade diese vier erscheinen als etwas Abnormes… Im Grunde werden alle diese vier על שם סופן, mit Rücksicht auf die großen verderblichen Folgen hingerichtet, die aus ihren dem Anschein nach unverhältnismäßig kleinen Verbrechen sic ergeben könnten. Hinsichtlich ihrer erkennt es daher das Gesetz als wichtig an, daß das ganze Volk erfahre, es habe jemanden um ein solches Verbrechen willen die Todesstrafe getroffen. Nicht von der Strafe an sich, sondern von der Öffentlichkeit oder Veröffentlichung – (das ist eben die Differenz zwischen ר' עקיבא und ר' יהודה, Sanhedrin 89a) – ist die Abschreckung das Motiv, und in dem das Gesetz der Öffentlichkeit der Strafvollziehung eben nur bei diesen vieren fordert, ist dies der Beweis, daß für die Strafe überhaupt nicht die Abschreckungsabsicht das Motiv sein kann (Sanhedrin 89a) – Ebensowenig ist das jus talionis aus dem „Aug’ für Aug’“ usw. des jüdischen Gesetzes zu folgern. Die Überlieferung lehrt, das damit nur die Abmessung einer Geldstrafe gegeben sei, und ist zugleich nachgewiesen, wie eine gerechte Ausführung des buchstäblichen Aug’ um Aug’ ja gar nicht möglich wäre. Allein aus dem schriftlichen Gesetze selbst ist ersichtlich, daß mit Aug’ um Aug’ nur das genaue Ausmaß der im Geld zu leistenden Schadloshaltung gemeint sei. Bevor 2 B.M. 21,24 Aug’ um Aug’ usw. ausgesprochen wird, ist daselbst V.19 bereits die Geldentschädigung für Verwundungen; שבתו יתן ורפא ירפא ausgesprochen. Im Aug’ um Aug’ ist vielmehr de große, dem ganzen jüdischen Strafrechte zu Grunde liegende Grundsatz offenbart: Jeder darf nur das Recht beanspruchen, das er auch dem Andern zuerkennt. Er verliert den Anspruch, sobald er den des Andern nicht achtet. Er restituiert sich wieder, indem er durch Restitution oder Straferleidung das verletzte Recht entweder objektiv, oder wo dies unmöglich, in der Anerkennung wieder herstellt. Den Weisen ist jede Strafe כפרה, Sühne, nicht „Sühne der beleidigten Gerechtigkeit“, sondern Sühne des Verbrechers selbst. Selbst die Hingerichteten Zukunft geht über die kurze Spanne seines Hierseins hinaus…
V.7 Und ihr pflanzet euch fort und vermehret euch; vermannigfaltigt euch auf der Erde und vermehrt euch auf ihr!
V. 7 …Es erhielt die noachidische Menschheit die Bestimmung, sich über die ganze Erde zu verbreiten und unter den verschiedensten Gestalten, Verhältnisse und Einflüssen Mensch zu werden und den allgemeinen Menschencharakter zu entwickeln; eine Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit, die uns im obigen Zusammenhange als der, s.v.v., neue Gottesplan für die Erziehung des Menschengeschlechtes erschienen, der der Notwendigkeit totaler Katastrophen vorbeugen solle. Die Verschiedenheit soll die Mängel ausgleichen und so den Fortschritt zum Ziel anbahnen. ברית נחלק לאוירות sprechen daher die Weisen zur Stelle: , ברוך שנתן חן המקום בעיני יושביו „die verschiedene Gegenden und Luftarten hat Gott mit einem besonderen Bündnisse ausgestattet“ – (vielleicht wörtlich: der allgemeine Gottesbund mit der Menschheit ist über die verschiedensten Gegenden verteilt) – „Gott sei gesegnet, der jeder Örtlichkeit einen Reiz in den Augen ihrer Bewohner verliehen!“ und weisen darauf hin, wie jeder Menschenstamm in seiner Heimat sich unter den unwirtlichsten Verhältnisse behaglich fühlt, wie die ungastlichste Gegend ihre Söhne in der Fremde mit Heimweh fesselt und ihre geistige Entwicklung in der Fremde stört. Der Mensch, der die Erde zu beherrschen glaubt, wird vielfach bis in sein innersten Innern, in Geist, Gemüt, Verstand, Sprache, von den Boden, der ihn trägt und umgiebt, beherrscht und diese Verschiedenartigkeit ist Zweck. Überall kann der Mensch Mensch sein, überall glücklich, überall das Menschliche im Menschen zur reinen Entfaltung kommen. Nur muß einer nicht seinen Maßstab an den andern legen. Darum heißt es am Schluß dieser Neugestaltung der Erde und der Menschheit: Vermannigfaltigt euch auf der Erde und vermehrt euch auf ihr, durch sie, in ihr, mit ihr, u.s.w.
V.13 Meinen Bogen! Ich habe ihn in die Wolke gegeben; und er sei nun zum Bundeszeichen zwischen mir und der Erde.
V.13 את קשתי נתתי בענן Es ist nicht notwendig anzunehmen, es habe bis dahin keinen Regenbogen gegeben, und dies mit den nach der Sündflut entgegengetretenen atmosphärischen Veränderungen in Verbindung zu setzen. …
V.15 ich meines Bundes gedenke, der zwischen mir und euch und jeder lebendigen Seele in allem Fleische besteht, und es wird nicht mehr das Wasser zu einer Entseelung werden, alles Fleisch zu verderben. in allem Fleische besteht, und zu verderben.
V. 15… Vielleicht steht aber der Anblick des Farbenbildes in noch engerer Verbindung zu allem Bisherigen. Wurden wir doch wiederholt darauf hingewiesen, wie die fernere Gotteswaltung, trotz aller in verschiedentlicher Abstufung sich ergebenden Menschenentwicklung, nie wieder den Untergang des Menschengeschlechts zu verhängen, vielmehr die fernere Erziehung desselben zum göttlichen Ziele eben auf diese Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der Menschen gegründet sein soll. Ist nun nicht der Regenbogen nichts, als der eine, reine, volle Lichtstrahl, siebenfarbig und siebenstufig gebrochen, von dem, dem Lichte nächsten roten Strahlen, bis zum dem dem Lichte fernsten, sich im Dunkel verlierenden violetten, und bleibts nicht von jenem zu diesem immer noch Licht, und bilden sie nicht alle zusammen den einen, vollen, reinen, weißen Strahl, und dürfte damit nicht vielleicht gesagt sein: die ganze Mannigfaltigkeit aller lebendigen Wesen, von dem Lebendigen in Adam, dem „Roten“, den Göttlichen nächsten „Menschen“ bis zu dem dunkelsten, unscheinbaren Leben im unscheinbarsten Wurm, alle נפש חיה בכל בשר, und vor allem die ganze Mannigfaltigkeit der Schattierungen, in welchen sich fortan das Menschliche im Menschenkreise darstellen wird, von dem hell durchgeistigtsten Menschen, bis hinab zu dem, in welchem das Göttliche dem Menschenauge kaum noch entgegendämmert, Gott einst sie alle zusammen zu einem Friedensbunde, alle Bruchstücke eines Lebens, alle: Strahlenbrechung eines göttlichen Geistes noch der letztes, dunkelste, fernste ein Sohn des Lichtes? – …
V.21 und er trank von dem Weine und wurde berauscht, und entblößte sich im Innern seines Zeltes.
V.21 : גלה . ויתגלaufdecken und zugleich auswandern, und zwar unfreiwillig ins Exil. Es dürfte diese verwandtschaftliche Erscheinung dasjenige bestätigen, was wir früher über עיר und כפר geäußert. כפר: Dorf weil es schützt und deckt; עיר, Haut, dem Menschen die organische Hülle für seine geistige Entwicklung gewährt. Während das Dorf nur schützt, das eigentliche Leben sich aber außerhalb desselben entfaltet, umfaßt die Stadt das ganze Leben, umschließt die Einwohnerschaft wie die Haut. Wer auswandern muß und heimatlos wird, der wird entblößt, verliert Schutz und Schirm und denjenigen berechtigten Raum, in welchem alle Verhältnisse von ihm zu seiner Entwicklung in Anspruch genommen werden können, er geht eben bloß „hautlos“ in die Fremde. So liegt in diesem Worte die ganze Innigkeit und das Schmerzgefühl dessen, was die Heimat dem Juden ist. Nicht umsonst wird der גר so oft und warm dem Mitleid empfohlen. … … In dem eigentlichen Innern, seines Zeltes hatte er (:Noa) den Wein nicht getrunken; ויתגל בתוך אהלה, als er fühlte, daß er ihm zu Kopfe stieg, flüchtete er sich in das Innerste seines Zeltes, wo er hoffen durfte, nicht gesehen zu werden. Ja, die Weisen bemerken, es sei אהלה geschrieben, also sogar das Frauengemach wo er gewiß hoffen durfte, dem Blick seiner Söhne entzogen zu bleiben, die den Vater nicht berauscht sehen sollten.
V.22 Da sah Cham, der Vater Kenaan’s die Blöße seines Vaters – und erzählte es seinen beiden Brüdern draußen!
V. 22 …Auf das Verhältnis der Kinder zu den Eltern ist die ganze Menschenwelt gebaut. Freilich sind die Eltern um der Kinder willen da, die Mutter אם , die Bedingung und der Vater אב: (vonאבה ) der dem Heil des Kindes hingegeben sein sollte. Aber beides ist bedingt durch כבוד ומורא אב ואם, durch Verehrung und Ehrfurcht von Vater und Mutter. Nicht umsonst steht die Mizwo als Schlußstein der ersten Gesetztafel. So lange Kinder in den Eltern die Depositäre der göttlichen Ausgabe erblicken, nicht das leiblich, sinnliche, sondern das geistige Wesen in ihnen achten, aus dessen Händen sie ihr geistiges Wesen erhalten, so lange wächst die Menschheit wie ein Baum. …(Siehe יבמות62a. נחלה nur bei ישראל; ירושה bei בן נח)…
V.24 Als Noach von seinem Weine erwachte, erfuhr er was ihm sein jüngster Sohn getanV.24 …Die Nennung Schem, Cham, Japhet erklärt sich, wenn wir bedenken daß alle diese geschichtlichen Offenbarungen zunächst für Jissroél bestimmt sind. Für Israel ist aber Schem, als der eigene Urstammvater, der wichtigste, und ihm zunächst Cham, dessen Völker – Egypten und Kanaan – die hauptsächlichsten Gegensätze bildeten in dessen Überwindung Jissroél fortgesetzt seine geschichtliche Entwicklung fand. Mit Japhet’s Völkern kam es erst später in Berührung… Das aber im Verfolg Noa von Kenaan und nicht von Cham spricht, das kann uns nicht befremden. Dem Cham wird so wenig geflucht, wie Schem der Segen wird. Nicht Cham und Schem für ihre Person, sondern dem, was sie durch ihre Nachkommen der Menschheit werden, wird Fluch und Segen erteilt, nicht ברוך שם sondern ברוך אלקי שם. – Dabei ist es tief erschütternd, das Noa dem Cham in seinem Kinde den Fluch ausspricht, und spricht dies die inhaltsschwere Warnung aus: „Wer nicht in seinem Kinde bestraft werden will, der ehre seine Eltern!“ Will Cham nicht einst in Kenaan bestraft werden, so versündige er sich nicht an Noa! Die Sünde, die die Kinder an ihren Eltern geübt, bestraft sich in den eigenen Kindern! Und wie in der einzelnen Familie, so gilt dies Gesetz von der Entwicklung ganzer Menschengeschlechter. Nur wo das jüngere Geschlecht ehrfurchtsvoll auf dem Grabe der Vergangenen steht, über die „Blöße der Vergangenheit das Gewand deckt“, ihr Edles, Wahres und Großes aber als teure Hinterlassenschaft zum Weiterbau des eigenen Lebens hinnimmt, da ist die Entwicklung der Geschlechter ein in fortschreitender Blüte sich entfaltender Baum. Sobald aber das jüngere Geschlecht, Cham gleich sich an den Blößen der Ahnen weidet, und über deren menschliche Blößen ihre geistig großen Überlieferungen verlacht, sobald die Zukunft das Band mit der Vergangenheit hohnlachend zerreißt, ist auch ihre Zukunft ein Traum, und hohnlachend wie sie bei den Andenken ihrer Ahnen, stehen einst ihre Enkel bei dem ihren – Cham ist immer der Vater von Kenaan!
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