Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH
(1833 – 1900)
Aus dem Kommentar zur Haftoro des Wochenabschnittes WAJAKEHéL
Könige 1, Kap. 17, Vers 13 und folgende
Der Inhalt der Haftora bildet die Beschreibung der beiden Säulen „Jachin und „Boas“ und des „Meeres“. Eine nähere Betrachtung erfordern die beiden ersteren, die schon durch die auffällige Benennung als besonders bedeutsam gekennzeichnet werden. Die beiden Säulen befanden sich in der Halle vor dem Hechal, der Machtstätte, am Eingange zu ihr.
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Hier nur noch ein Wort über den Totaleindruck, den diese beiden mächtigen Säulen am Eingange zum Heiligtum machen mussten und sollten. Denn daß es ein lebensweckender, auf Bedeutung und Zweck des Heiligtums hinweisender Gedanke war, den sich Jedem entgegenrufen sollten, der diesem Heiligtum sich nahte, das geht mit Evidenz aus den beiden Namen hervor, die der Weiseste der Sterblichen ihnen gab, vor dessen innerem Auge die Lichtworte der Symbolsprache des Heiligtums in ihrer ganzen Herrlichkeit aufgestrahlt sind, wie sie erst nach Jahrtausenden vor dem Geistesauge eines gottbegnadeten Forschers aufleuchten sollten, der sie in jenen Werke niedergelegt, deren allgemeinerem Verständnis erst die kommenden Geschlechter entgegenreifen. Wenn Salomo diese Säule „Jachin“ und „Boas“ nannte, so weisen beide auf das Gotteswort hin, das allein diesem Heiligtume Inhalt und Bedeutung verleihe. Die, vom Heiligtum geschaut, rechts, südlich, auf der Menorah-Seite stehende, verkündet mit ihrem Namen: „Jachin“, daß das hier thronende Gottesgesetz allein Jissroél und die Menschheit die Richtung und damit die feste Begründung zu geben habe, und die links, nördlich, an der Schulchan-Seite; stehende Säule kündet mit ihrem Namen: „Bo-as“, daß in diesem Gottesgesetze und in der Hingebung an dieses Gottesgesetz allein die unüberwindliche, allem obsiegende Kraft zu gewinnen sei. Die Forderung dieser Hingebung, die der Prophet Hosea später im Namen Gottes in die Worte kleidete: Ich will ja gern wie Tau sein für Jissroél, es muss sich jedoch diesem Tau öffnen wie die Lilie! (Hosea 14,6) Und wie vom unteren Teile des Kapitäles herunter grüssenden Granatäpfel? Was lehren sie anders als die Granatäpfel am Saume des Hohenpriester-Gewandes, daß nämlich im Heiligtum gehegten und von den Menschen dort zu gewinnenden Güter eine unendliche Fülle von Heilessaaten sind, die nur darauf harren, in die Erde gestreut und von der Erde empfangen zu werden, , um in der Gestaltung der irdischen Verhältnisse nach dem göttlichen Gesetze das Paradiesheil auf Erden aufblühen und schon auf Erden das ewige Leben gewinnen zu lassen. So künden die Granatäpfel an den Kapitälen die Wahrheit, die derselbe Salomo Prov. 3,18 mit den Worten ausgesprochen: Das in diesem Heiligtum bewahrte Gottesgesetz ist der Baum des Leben, wer an ihn festhält, der ist beglückt – wörtlich: „der wird zu ewigem Heilesfortschritt und in ewigen Fortschreiten gefördert“.– Vergessen wir in Ergänzung dieses Ausspruches nicht, daß, wenn hier in der Vorhalle sich uns die Früchte des עץ החיים, des Baumes des Lebens darstellen, im Heiligtume selbst im דביר, an der „Stätte des göttlichen Wortes“ auch die Cherubim, sowohl in den von Salomo gefertigten Gestalten, als auch vor allem in dem von Gott gebotenen Cherubim-Deckel vorhanden sind, als „die Paradieswächter, Beschützer und Bewahrer des Weges zum Baume des Lebens.“ – –
Jachin und Boas und das „Meer“ und die ganze übrige Ausstattung des Tempels, von den unsere Haftora und die ihr vorangehenden und nachfolgenden Abschnitte des Buches der Könige berichten, sind längst dahingeschwunden. Sie haben den Bestand des Reiches nicht überdauert. Sie wurden nach Jer. a..a. O. in Stücke geschlagen und als Metall nach Babel transportiert, sind dort umgeschmolzen und vielleicht zur Erhöhung des Prunkes des Bel verwendet worden. Auch Babylon und die ganze Herrlichkeit des Bel deckt der Moder der Jahrtausende. – Die Wahrheiten aber, die sie lehren sollten leben und harren noch immer ihrer Verwirklichung. Und auch wir, die berufenen Träger dieser Wahrheiten, wir leben, und alle von Gott gefügten Wandlungen unsrer Geschicke haben keinen anderen Zweck, als uns zu wahren Trägern dieser Wahrheiten zu erziehen, bis daß einst ein jeder Jude in seines Lebens gesamter Richtung, Festigkeit und Vollendung als „Jachin“ und durch die Kraft, die ihn aus allen Lebenskämpfen siegreich hervorgehen lässt, als „Boas“ dastehn wird in seines Menschheitspriestertums Vollendung. – –
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(Die Haftoroth übersetzt und erläutert, Frankfurt am Main 1896: S. 167- 175 Kommentar zu Könige 1. Kap 17…)
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