Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH
(1833 – 1900)
Aus dem Kommentar zur Haftoro des Wochenabschnittes MISCHPOTIM
משפטים
Jeremia Kap.34, Vers 8 und folgende
Das Prophetenwort der Haftora führt uns in die letzten Zeiten des jüdischen Staates vor der Zerstörung Jerusalems unter Nebukadnezar. Fast ganz Juda war bereits im Besitze der Babylonier. Auch Jerusalem hatte sich schon unmittelbar bedroht gesehen, die Feinde waren jedoch wieder abgezogen. Daß es fallen und sein König gefangen genommen werde, war vom Propheten verkündigt. Da, in dieser Stunde da das Ärgste noch einmal abgewendet war, scheint sich in Zidkijah, den sonst wenig löblichen König, sein Besseres selbst geregt zu haben. War’s ein Dank in dem Frohgefühl über den Abzug der Feinde? War’s um sich des ferneren göttlichen Schutzes würdig zu machen? Jedenfalls war es ein sinniger Zug, der den König aus dem großen Register der wieder gut zu machenden Verfehlungen in dieser Stunde, da ihnen allen das Los härtester Knechtschaft schon so nahegerückt gewesen und auch noch weiter sie bedrohte, gerade die von ihnen selbst gegen ihren unglücklichen Brüder und Schwestern widerrechtlich geübte Knechtung als zu sühnendes Unrecht herausheben hieß. Und er hatte seine Großen, und die Priester und Beamten und das ganze Volk versammelt und sie in feierlichem Zeremoniell, sogar unter Nachahmung des „Bundes zwischen den Stücken“, schwören lassen, ihren widerrechtlich in Knechtschaft gehaltene Brüdern und Schwestern dem Gottesgesetze folgend die Freiheit zu geben. Und wortwörtlich hatten sie’s auch vollführt, hatten die in Dienstknechtchaft Gehaltenen freigelassen. Es schien so schön, ein Lichtstrahl in dunkler Nacht, das Durchschimmern einer edleren Natur. Doch leider nur eine flüchtige Regung war es beim Könige, und nur eine frivole Farce auf Seiten der Großen, der Priester und des Volkes. Denn die eben Freigelassenen – wurden von ihren Herren sofort wieder mit Gewalt in die alte Knechtschaft zurückgezwungen!! – – Es war der frechste Hohn, den sie ihrem Gotte ins Angesicht zu schleudern wagten, gepaart mit der kaltherzigsten Grausamkeit gegen die unglücklichen, so schmählich Getäuschten. Mochte auch bei anderen Kulturvölkern damals und noch ein Jahrtausend später die viel härtere Sklaverei als berechtigt gelten: diese jüdische Gesellschaft forderte das Verhängnis förmlich heraus, dieses Juda wurde vor dem wohlverdienten Verhängnisse ereilt. –
Denn die Heilighaltung der persönlichen Freiheit steht an der Spitze der großen Mischpatim-Gesetzgebung – die schnöde Höhnung dieses Gesetzes brach den Stab über Jerusalem. Das ist’s was das Prophetenwort uns lehrt. Es ist wahrlich kein Zufall, daß gerade die in der Höhnung eines solchen Gesetzes sich kundgebende sich kundgebende Gesinnung das Urteil besiegelte. Denn die auf dem Boden der Gotteshuldigung aus dem Quell der Gesinnungslauterkeit in Gerechtigkeit und Liebe erblühende menschlich edle Gestaltung des Verhältnisses zwischen Mensch und Mensch ist die herrlichste Frucht, auf deren Zeitigung das ganze Gottesgesetz hinwirkt. Damit stimmt es aufs vollständigste, daß derselbe Prophet, da er dem schon bedrohten Jerusalem die Heiligung des Sabbaths im Namen Gottes ans Herz zu legen und die Verheißung auszusprechen gehabt hatte, daß aus dieser Sabbathheiligung dann die Rettung hervorgehen werde, gerade diejenige Seite der durch die Sabbathfeier vollzogenen Gotteshuldigung in den Vordergrund zu stellen und mit ganz besonderem Nachdruck hervorzuheben hatte, durch welche die absolute Unterstellung des ganzen geschäftlichen Verkehres zwischen Mensch und Mensch unter das heilige Diktat gottgebotener Pflicht allsabbathlich im jüdischen Kreise erneut proklamiert wird. השמרו בנפשותיכם ואל תשאו משא ביום השבת Jer. 17, 21 ff. Vergl. über diese Stelle, bezw. Über das Verbot des Tragens am Sabbath, Hirsch Commentar zu 2 B.M. 35,1.
Die Knechtschaft, von der hier die Rede ist, kann sofern sie überhaupt einen legalen Ursprung hatte, sich nur auf ein durch Not veranlasstes, zeitweilig eingegangenes Dienstverhältnis beziehen, das 3 B.M. 25,39 besprochen ist. Denn die durch Richterspruch zu verhängenden sechsjährige Dienstbarkeit konnte nur in dem seltenen Falle eintreten, in dem die sechsjährige Arbeitsleistung sich in ihrem Werte mit dem zu ersetzenden gestohlenen Gegenstände deckte und war außerdem nur auf Männer beschränkt.
(Die Haftoroth übersetzt und erläutert, Frankfurt am Main 1896: S. 142- 142 Kommentar zu Jeremia Kap 34 …)
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