Rabbiner Dr. Mendel HIRSCH
(1833 – 1900)
הפטרת כי תשא
Aus dem Kommentar zur Haftoro des Wochenabschnittes KI SISSO
Könige 1, Kap. 18, Vers 1 und folgende
Die Sidra zeigte uns das dem goldenen Kalbe zujauchzende Volk. Das Prophetenwort zeigt uns sechs Jahrhunderte später dieses selbe Volk noch schwankend zwischen Gott und dem – Baal. Gibt es etwas Niederschlagerendes als diese einfache Zusammenstellung? Es ist überhaupt ein unsäglich trübe Zeit, in die uns dieses Kapitel aus dem Buche der Könige einen Einblick eröffnet.
Im Hintergrund ein König, Achab,
dem die Verbrechen des ersten Jeroboam, fluchbeladenen Andenkens, noch „zu
gering waren“ (Könige I. 16,31). Sodann eine phönizische Königstochter auf dem
Königsthrone Jissroéls, die mit fanatischer Wut die Gottespropheten und ihre
Jünger verfolgt und erbarmungslos Jeden mordet, der sich nicht vor den Augen
ihrer Schergen verbergen kann. Also zu Hochverrat, zu todeswürdigen Verbrechen
war’s in Israel geworden, den Mund zu öffnen für die heilige Sache des
Gottesgesetzes, – diese Vertreter waren eben die Propheten und ihre Jünger –
und die Organe der Staatsgewalt fahndeten auf Jeden, der nicht seine
Überzeugung von der Wahrheit des Gotteswortes vorsichtig im Herzen verschloss!
Ein Baalstempel und Baalsaltäre in der Residenz Schomron, und der König selbst
der eifrigste Diener des Baal (das. V.32 f.). Und ein Volk, stumpf und in
Unwissenheit gehalten, das, man weiß nicht, ist’s Stupidität oder
Verschüchterung durch das Wüten Isabels, hin- und her herschwankt zwischen Gott und dem Baal – Für
es gab keine Erlösung aus Ägypten, keine Allmachtsoffenbarung am Meere, keine
Offenbarung am Sinai, keine vierzigjährige täglich sich wiederholende
Gottesoffenbarung in der Mannaspeisung der Wüste –: für es hing die
Entscheidung ob für Gott, ob für den Baal, eben nur davon ab, welches Opfer
jetzt hier am Karmel vom Feuer verzehrt würde!–
Die Sidra hatte dem goldenen
Kalbe zujauchzende Volk gezeigt, und dieses hatte doch dem Volke selbst in
dessen Verblendung nicht Gott, sondern nur den vermeintlich gestorbenen Führer
Mosche ersetzen sollen!– und nun hier,
sechs Jahrhunderte später, bot Israel dieses Bild! – Welcher denkende
Betrachter der Geschichte hätte nicht damals urteilen müssen: Wenn das der
Fortschritt ist, den ein Volk, den eine Sache innerhalb eines solchen Zeitraums
gemacht hat, so hat dieses Volk und die Sache keine Zukunft, verloren,
unrettbar sind Volk und Sache.
Gerade darin aber liegt das Erhebende des Rückblicks auf diese unsagbar traurige Zeit.
Denn von diesem düsteren
Hintergrunde hebt sich in ihrer lichtigen Größe ab die hehre Gestalt Elijahu’s.
Er steht allein, wehrlos den grimmerfüllten Königen gegenüber. Wie tief muss
doch trotz allem und allem das Gottesbewusstsein in den Herzen des Volkes Wurzel
geschlagen haben! Es konnte unterdrückt, seine Äußerungen durch lähmende Furcht
niedergehalten werden. Allein die Jahre des Regenmangels, die der Verkündigung
des Propheten gefolgt waren, waren nicht spurlos vorübergegangen an den
Gemütern des Volkes und an dem des Königs. Überall hatte er den Propheten
suchen lassen, hatte überall seine Auslieferung verlangt: und jetzt, da er ihn
sich plötzlich gegenüber sieht, wagt er nicht, ihn anzutasten, nimmt vielmehr
die niederschmetternde Anklage, die Elijahu ihm auf seinen Vorwurf ins Gesicht
schleudert, demütig hin und kommt dem Verlangen des Propheten nach, eine große
Volksversammlung zum Karmel zu berufen. – Und nun stehen sie einander gegenüber
– der eine Gottesprophet und die achthundertundfünfzig Götzenpropheten. Mit
vornehmer Courtoisie und seiner Ironie lässt Elijahu ihnen in allem den
Vortritt – „ ihr seid ja die Mehrzahl!“ Und nun mühen sie sich ab, es war ihnen
sicher nicht wohl dabei, aber es gab kein Zurückweichen. Die geistlichen
Günstlinge und Tafelgenossen der Königin mussten schon aus der veränderten
unschlüssigen Haltung des ihnen bisher so gefügigen Volkes erkennen, daß die
Tage ihrer unbestrittenen Herschafft gezählt seien. Es war eine Stunde, in der
den Götzenspuck gezwungen wurde, ins helle Tageslicht hinaus der Gottesallmacht
gegenüberzutreten, um sich in seiner Nichtigkeit entlarven zu lassen.
Doch nicht in der hehren Erscheinung Elijahu’s, nicht in den ergreifenden Worten seines Gebetes, nicht in der Bekundung der Gottesallmacht, auch nicht in dem gotthuldigenden Aufschrei des bis ins tiefste Innere erschütterten Volkes liegt für uns das Erhebende dies Rückblicks. Auch jene Huldigung war ja nur eine flüchtige Episode, jenes Bekenntnis nur ein vorübergehendes Aufraffen aus der Betörtheit, in die das Volk so rasch wieder zurücksank. Aber daß die Worte von Karmel gleichwohl noch nach den Jahrtausenden, die inzwischen verflossen, in der Brust der über die ganze Erde zerstreuten Sprossen dieses Volkes leben; daß sie der Ruf sind, mit dem in der seligste Stunde des Jahres, in der stunde der Neïla, jeder Sohn und Tochter dieses Volkes noch jetzt sich ihrem Gotte hingibt und den Treuschwur erneut, den Schwur der Treue bis in den Tod; daß diese Worte des nach einem Jahrtausend der Erziehung damals noch schwankenden Volkes gleichwohl nach den inzwischen verflossenen Jahrtausenden noch das letzte Bekenntnis und der Scheidegruß sind, mit dem die heimkehrende Seele jedes Sprossen dieses Volkes hinübergeht in die Ewigkeit –: das ist das Erhebende dieses Rückblicks, das gewährt die felsenfeste Zuversicht in die Ewigkeit dieses Wortes, in den endlichen Sieg seiner Wahrheit. Diese Tatsache, daß die Worte, die der Feuereifer Elijahu’s damals der Brust des schwankenden Volkes entströmen ließ, nach Jahrtausenden noch den begeisterten Weckruf und jenes Bekenntnis bilden, das Israel hindurchgetragen hat durch alle Wetterstürme der Geschicke, sie selbst ist der nimmer versiegende Quell jenes heiteren Vertrauens, das über das Trübe jenes Tages leuchten sieht, an dem Gott, wie er durch Maleachi es verkündet, Elijahu wieder sendet, und er dann zurückführt das Herz der Väter zu den Kindern und der Kinder zu ihren Vätern – –
…
(Die Haftoroth übersetzt und erläutert, Frankfurt am Main 1896: S. 159- 165 Kommentar zu Könige 1. Kap 18…)
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