Rabbiner Dr. Salomon BREUER
(1850 – 1926)
כי תשא
Belehrung und Mahnung zur Wochenabschnitt Ki Sisso (Auszug)
(In jenem Jahr gleichzeitig פ' שקלים)
…Auf diesem Gebiete könnten wir von unseren Feinden, den Gesetzverächtern gar manches lernen. Wie heißt es doch in den Psalmen (17,4): לפעלת אדם בדבר שפתיך אני שמרתי ארחות פריץ „Wenn es gilt, die Handlungen des Menschen unter deiner Lippen Wort zu bringen, da beobachte ich die Pfade des Gesetz-Durchbrechters.“ Diese begnügen sich nicht, für sich allein den Weg des Abfalls zu gehen, für sich allein מחלל שבת und אוכל טרפות zu sein, sie sind vielmehr eifrig bedacht, für ihre „liberale“ Anschauung recht viele Genossen zu gewinnen. Wie viel könnten da unsere יראים von ihnen lernen, wenn es gilt, „Handlungen des Menschen unter Gottes Wort zu bringen“, Genossen, für die Gottessache zu werben! Aber nur in den seltensten Fällen geschieht’s!
Schwäche, gepaart mit falscher Friedensliebe, duldet den Leichtsinn und den Abfall neben sich, statt ihn mit allen Mitteln entgegenzutreten, alles aufzubieten, um den Bruder zur halben, ganzen Schekelleistung seines Lebens, die Gott von ihm fordert, zu bestimmen. Es ist der Geist, seines Lebens, der bei der traurigen nationalen Versündigung des goldenen Kalbes so verhängnisvoll sich gezeigt, der bis in die Gegenwart jüdisches Leben unheilvoll beeinflusst. אין לך דור ודור שאינו נוטל מעון של עגל Kein Geschlecht, sprechen die Weisen, das nicht immer noch an der Sünden Kalbes krankt! Nie und immer wäre es damals so weit gekommen, wenn der Kern des jüdischen Volkes dem verbrecherischen Ansinne, das bekanntlich vom ערב רב ausging, von Anfang an mit entschiedener Festigkeit entgegengetreten wäre. So aber glaubte man durch Entgegenkommen mehr zu erreichen, fürchtete die schroffe Ablehnung die Verblendeten in ihrem Vorhaben nur noch zu bestärken, glaubte Zeit zu gewinnen, rechnete, daß inzwischen Moses wiederkehren werde, aber die Folge dieses Verhaltens war ויצא העגל הזה das goldene Kalb!
Im Geiste des ערבות traf daher die Strafe, die Gottes gerechte Waltung verhängte, nicht nur die Verbrecher, das ערב רב, sondern die Gesamtheit des jüdischen Volkes, deren schwächliches Verhalten dieses Verbrechen erst ermöglichte. – Damit findet auch eine schwierige Stelle in dem Berichte unserer Thora ihre einfache Erklärung.
Es heißt daselbst (33,4): וישמע העם את הדבר הרע הזה ויתאבלו ולא שתו איש עדיו עליו Unter dem Eindruck der Verkündigung der von Gott verhängte Strafe erfüllte tiefe Trauer das Volk, und niemand legte seinen Schmuck an. Unmittelbar danach spricht Gott zu Moses: ויאמר ה' אל משה, אמר אל בני ישראל וגו' ועתה הורד עדיך מעליך Moses solle die Söhne Israels auffordern, ihren Schmuck abzulegen, eine Aufforderung, der die Söhne Jissroéls alsbald entsprachen: ויתנצלו בני ישראל את עדים מהר חורב Der Widerspruch fällt ins Auge: hieß es doch schon vorher, daß das Volk seinen Schmuck zum Zeichen der Trauer nicht angelegt hatte, wozu demnach die göttliche Aufforderung?
Erwägt man jedoch, daß nach eine Erklärung der Weisen überall, wo עָם im Gegensatz zu בני ישראל steht, unter עָם das ערב רב verstanden wird, so sprechen unsere Verse eine klare, eindringliche Sprache. וישמע העם וגו' Das ערב רב hatte im Bewusstsein seiner schweren Verschuldung seinen Schmuck abgelegt, jedoch בני ישראל, die Elite des jüdischen Volkes, die sich zwar an dem Verbrechen nicht beteiligt hatte, aber in Untätigkeit verharrte, war sich der Schwere ihres Vergehens noch nicht ganz bewusst. Dar erging Gottes Befehl an Moses אמר אל בני ישראל daß alle, auch die an der Versündigung nicht unmittelbar beteiligt waren, ihren Schmuck abzulegen hätten, denn im Geiste des כל ישראל ערבים זל"ז waren sie nicht weniger schuldbeladen! –
Der Geist dieser sog. „Friedensliebe“, die sich anlässlich der Egelversündigung so verhängnisvoll ausgewirkt hat, beherrscht aber leider bis auf den heutigen Tag das jüdische Leben. Um des lieben Friedens willen duldet der „fromme Gatte“, daß die Gattin, duldet die „fromme“ Gattin, daß der Gatte ein gottentfremdetes Leben führt, macht der Vater der Mutter, oder die Mutter dem Vater die Konzession, ihre Söhne oder Töchter für ein unjüdisches Leben erziehen und bilden zu lassen. Um des lieben Friedens willen wagen die Eltern kein Wort gegen das unjüdische Leben ihrer erwachsenen Söhne und Töchter, duldet man den verderblichen Einfluss von unjüdischen Bekannten und Verwandten auf dem ganzen Geist des Hauses – jenes heillose System der Konnivenz, die den Frieden mit Gott preisgibt, um den Frieden mit Menschen zu sichern, die um die Gunst und den Beifall der Menge buhlt und alles, ob recht oder unrecht, mundgerecht oder plausibel zu machen strebt – wahrlich: אין לך דור ודור שאינו נוטל מעון של עגל „kein Geschlecht, das nicht immer noch an der Sünde des goldenen Kalbes krankt!“.
Dem gegenüber steht die große Lehre des מחצית השקל, die alle einzelnen Glieder Jissréls zur gegenseitiger Leistung und Verantwortung verbindet, die jeden einzelnen auf die ergänzende Brüderleistung hinweist und nur in der Vereinigung aller vom gleichen Geist erfüllten Glieder des Gottesvolkes die Erhaltung des Heiligtums gesichert sieht. …
Quelle: Rabbiner Dr. Salomon BREUER Belehrung und Mahnung zweiter Teil Exodus J.Kaufmann Verlag Frankfurt am Main 1931 S. 57 -39
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